„Wir Kulturmenschen sind auf das Fremde angewiesen“ Michael Schottenberg, Autor _ Wien 18.4.2024

Lieber Michael Schottenberg, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich stehe früh auf, versorge meine Hühner und arbeite zumeist die erste Stunde des Tages im Garten. Wenn alles bestellt ist, trinke ich Kaffee und überlege mir den Tagesverlauf.

Den Vormittag verbringe ich zumeist mit Schreiben – erst wenn ich müde werde vom vielen Reisen, beginne ich Termine, meist außer Haus, wahrzunehmen. Dann besteige ich meine rote Vespa und brause in Richtung Stadt.

Erst gegen Abend kehre ich in mein Haus zurück. Freunde bekochen ist dann angesagt, begleitet gerne von einem pitschkalten Glas Wein (meist Veltliner). Als Draufgabe gibt es dann und wann ein gepflegtes Fußballmatch. Aber nur dann und wann.

Michael Schottenberg _
Autor, Schauspieler, Regisseur

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Mit der Globalisierung haben sich die Grenzen nicht nur Europas aufgelöst. Kriege und Armut lösten neue Völkerwanderungen aus. Lange haben wir auf Kosten von Menschen der dritten und vierten Welt gut gelebt. Sehr gut. Jetzt kommen sie in ihrer Not zu uns und fordern Tribut. Wir erleben sie als existentielle Bedrohung und bleiben ziemlich ungerührt, wenn Flüchtlinge in den Meeren rund um Europa ertrinken. Fremdenangst und Fremdenhass hat aus psychologischer Sicht immer etwas mit Selbsthass zu tun.

Wir müssen angstfreie Räume schaffen, damit dem Anderen, dem Fremden mit unverstelltem Blick begegnet werden kann und Neugier eine Chance hat, sich zu entwickeln. Diese angstfreien Räume sind vorhanden. Es gibt sie in allen Bereichen und Institutionen der Kunst. Im Theater und Kino lernen wir, mit dem Unvertrauten umzugehen, Musik öffnet Herz und Grenzen, und Literatur bringt uns die Welt ins Haus. Übungen für die Akzeptanz von Verschiedenheiten.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?

Wir Kulturmenschen sind auf das Fremde angewiesen. Wir brauchen fremde Inputs um unsere Arbeit weiter zu entwickeln. Wir treten mit unserer Kreativität, unserer Kraft, unserer Begabung für Achtung, Würde, Respekt, Bildung, Gleichberechtigung aller Menschen ein und wir fordern die von uns gewählten Politiker auf, dafür auch Verantwortung zu übernehmen, ihren Einfluss auf die Menschen positiv zu nützen, der Hetze und dem Fremdenhass einen Riegel vorzuschieben, zur Multikulturalität zu stehen und ihn als Teil unserer Kultur anzuerkennen.

Was liest Du derzeit?

„Fliegen ohne Flügel“ von Tiziano Terzani – ein Roman über das langsame Reisen.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Reisen ist Leben.

Michael Schottenberg _
Autor, Schauspieler, Regisseur

Vielen Dank für das Interview, lieber Michael, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Buch-, Reise-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Michael Schottenberg _ Autor, Schauspieler, Regisseur

Zur Person _ Michael Schottenberg, geboren in Wien, prägte als Schauspieler, Regisseur, Drehbuch- und Bühnenautor das österreichische und internationale Kulturleben. Schauspieler im TV, Kino sowie an zahlreichen internationalen Theatern, Bühneninszenierungen in Wien und Berlin. Zehn Jahre lang Direktor des Volkstheater Wien, zahlreiche Preise. Seit 2015 als Reisender und Autor unterwegs. 2019 Publikumsliebling bei der ORF-Show »Dancing Stars«. Seit 2020 ist er wöchentlich als Reise-Experte im »Studio 2« (ORF 2) zu sehen.

https://amalthea.at/autor/michael-schottenberg/

Aktuelle Buchneuerscheinung von Michael Schottenberg:

Michael Schottenberg, Oberösterreich für Entdecker

Schotti to go

»Ich wollte ein Buch über ein Land schreiben, es wurde eines über Menschen.« Für Reisephilosoph Michael Schottenberg heißt es einmal mehr, Unbekanntes zu »erfahren«. Vom Inn bis zum Böhmerwald, vom Sengsengebirge bis ins Salzkammergut braust er auf seiner roten Vespa durch Oberösterreich und staunt über dessen Vielseitigkeit. Menschen vertrauen ihm ihre Lebensgeschichten an, die zur Biografie eines Landes werden: vom Pinsdorfer Tierpräparator Höller, in dessen Dachboden Thomas Bernhard einen Roman schrieb, über die Holzkünstlerin Annerose R., die mit ihrer Kettensäge Frauenfiguren schnitzt, oder die Titanic-Beauftragte Lisa Maria, die in ihrer Toilette ein Privatmuseum betreibt, bis hin zum Linzer Domeremiten, der sich als der Autor selbst entpuppt.
Ein Buch voller Reiselust und Lebensweisheit: In »Schottis« Wunderwelt zu blicken, heißt ein Land und seine Bewohner:innen verstehen und lieben zu lernen.“

1. Auflage, mit zahlr. Abb., ca. 240 Seiten

€ 25,00 inkl. MwSt.

ISBN-13: 978-3-99050-265-5

Erscheinungsdatum: 30.04.2024

https://amalthea.at/produkt/oberoesterreich-fuer-entdecker

Michael Schottenberg über das Schreiben:

Schreiben ist Liebe

Die Arbeit des Schreibenden verlangt nach jenem Brand, an dem er nicht verbrennt, sondern sich entzündet – seine Ideen, seine Vorstellungskraft, seine Lust. Damit verbunden sind jede Menge Qualen, weil die Unwägbarkeit so wie in jeder leidenschaftlichen Beziehung eine große Rolle spielt: Enttäuschung, Frustration, Hoffnung. Und die Begierde nach mehr. Das Verlangen, sich künstlerisch auszudrücken, entsteht zunächst im Kopf. Ein Rausch, dessen Samen Früchte trägt. Der Schreibende verschmilzt mit seiner Leidenschaft, die vor den Augen seiner Geliebten zu Affekten des Begehrens wird. Und des Staunens. So verwandeln sich Augenblicke zu geheimen Liebesbotschaften, die uns die Gewissheit schenken, zu leben.

Wer ist die Schöne, der all diese Aufmerksamkeit gilt? Lange Zeit eine Fiktion. Denn noch findet die Vereinigung nicht statt. Erst während des Lesens kann sich Liebe erfüllen – oder eben auch nicht. Gefühl kennt weder Vergangenheit noch Zukunft. Es verlangt nach dem Augenblick des sich Vergessens und – es ist keineswegs käuflich. Der Schreibende offenbart sich. Manchmal verführt er seine Geliebte zu unwägbaren Abenteuern, dann wird er aufgefressen, mit Haut und Haaren. Oder aber er wird weggelegt. Dann bleibt er unentdeckt zurück, doch untrennbar mit ihr verbunden. Der Schreiber und seine Geliebte. Autor und Leser*in. Eine widersprüchliche Symbiose. Aber so ist Leidenschaft. Beide sind süchtig nach dem Gefühl zwischen Hingabe und Ohnmacht. Aus allen Aphorismen, Weisheiten und Zitaten trifft für beide wohl (abgewandelt) dieses eine zu: »Leidenschaft ist eine Kraft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.«

In Liebe, Schotti

https://amalthea.at/autor/michael-schottenberg/

Autoren Website _ Schottis Reisetagebuch

https://www.schottisreisetagebuch.at/

Foto_ Martina Berger

Walter Pobaschnig _ 15.4.2024

https://literaturoutdoors.com

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