














„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.










































































































„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
Natalie Campbell, Tänzerin, Schriftstellerin performing „Undine geht“.
„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Fotos_Donau_Wien.
Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.
Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.
Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Liebe Natalie Campbell, wie liest Du den Text „Undine geht“ von Ingeborg Bachmann? Welche Grundaussagen gibt es da für dich?
In „Undine geht“ spritzt das Wasser, schäumen die Wellen und darunter brodelt eine Kampfansage an die Männer, beziehungsweise an die patriarchalen Strukturen, denen auch Nixen ausgeliefert sind – Ingeborg Bachmann ist eine herausragende Autorin und, im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen, hat sie von der Literaturwelt die Anerkennung erhalten, die ihrem Werk auch gebührt.





Wie siehst Du „Undine“?
Undine ist eine Wassernixe, die beschlossen hat, sich keine Ungerechtigkeiten mehr gefallen zu lassen. Sie geht mit den Männern hart ins Gericht und fordert Gerechtigkeit ein.
Viele Mythen handeln von Nymphen, Flusswesen, Unterwasserwelten und diesen Erzählstoff finde ich insbesondere dann spannend, wenn er zeitgenössisch reflektiert und interpretiert wird.

„Undine geht“ wurde vor gut 60 Jahren veröffentlicht. Was hat sich seit damals im Rollenbild von Frau und Mann verändert und was sollte sich noch ändern?
Ein paar Zahlen:
In Österreich durften Frauen in den 60er Jahren immerhin schon studieren. Das wurde ihnen ab 1897 erlaubt, mehr als 500 Jahre später, als ihren männlichen Kollegen. Seit 1918 durften sie (auch) wählen.
In den 60er Jahren war Schwangerschaftsabbruch noch ein Verbrechen (dieser wird erst seit 1975 durch die Fristenregelung geduldet).
Gleichzeitig war Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar (das hat sich erst 1989 geändert).
In den 60er Jahren durfte der Ehemann seiner Gattin verbieten, arbeiten zu gehen, er konnte alleinig über ihren Wohnsitz und ihren Nachnamen entscheiden (erst seit 1975 ist das anders).

Seit den 60er Jahren haben Gesetze bahnbrechende Veränderungen in der Gleichstellung von Frauen und Männern geschaffen. Trotzdem können wir nicht davon sprechen, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden. Auf keinen Fall in der Berufswelt (Frauen verdienen fast 20% weniger als ihre männlichen Kollegen). Sicher nicht in der Literaturszene (siehe: Nicole Seifert: Frauen Literatur). Und am allerwenigsten zu Hause.
Das „Heim“ ist für Frauen der gefährlichste Ort, Femizide werden in der großen Mehrzahl von männlichen Familienmitgliedern verübt. Und wenn Frauen von ihren männlichen Familienmitglieder nicht ermordet werden, Ungerechtigkeiten gibt es allemal, denn: die Hausarbeit wird in Familien nach wie vor zu einem viel größeren Teil von Frauen als von Männern verrichtet. 2023 verwendeten Frauen im Schnitt 4,54 Stunden und Männer 2,34 Stunden für unbezahlte (Care-)Arbeit auf.
Abschließend möchte ich noch die Frage stellen: selbst wenn wir es schaffen, dass Frauen für gleiche Arbeit gleichen Lohn bekommen, schaffen wir es auch, Veränderungen auf interpersonaler Ebene zu schaffen, und können wir Machtstrukturen dort aufbrechen, wo wir am vulnerablsten sind und wo es am schwierigsten ist, Gewohnheiten zu ändern: in unseren intimsten Beziehungen?

Der Monolog geht mit der patriarchalen Gesellschaftswelt schonungslos ins Gericht. Wie siehst du die Situation patriarchaler Macht heute?
Patriarchat, die Vormachtstellung des „weißen“ Mannes, ist 2024 ungebrochen.
Aber wie es der Historiker Yuval Noah Harari ausdrückt: „The feminist revolution is one of the hopeful examples of how people, just by changing the story, also change the world.“
Intersektionaler Feminismus, der Diskriminierung anhand einer Vielzahl von Kategorien, wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Race, soziale Herkunft, soziale Identität, Alter,… bekämpft, wird weiterhin die Welt zum Besseren verändern.

Was bedeutet dir Natur?
Wir, als Menschen, sind Teil der Natur. Natur ist unsere Mitwelt. Natur ist Lebendigkeit.
Wenn unsere Spezies auf dem Planeten Erde (über)leben will, dann ist die Einsicht, dass die „Natur-Kultur-Dichothomie“ Quatsch ist, unabdingbar.
Den meisten von uns Menschen (mir eingeschlossen) fehlt es an grundlegendem Wissen und Verständnis über unsere Mitwelt. Über Kreisläufe, Symbiosen, Gesetzesmäßigkeiten.
Die meisten von uns leben in eine, in Beton gegossene, Welt. Gehen über versiegelten Boden und trinken Wasser aus einer Metallleitung. Wir wissen nicht, welchen Weg die Nahrung gemacht hat, die wir essen. Wir spülen unsere Exkremente mit Trinkwasser in ein Kanalsystem, irgendwo, tief vergraben unter den Häusern, das wir noch nie betreten haben, und nie betreten werden.
Wir haben nur ganz selten Kontakt mit dem grundlegenden Kreislauf der Natur: Geburt und Tod.


Was bedeutet dir das Element Wasser?
Wasser ist Leben. Wasser ist der kostbarste Rohstoff auf unserem Planeten.
Menschen bestehen zu einem Großteil aus Wasser.
Ich bin sehr gerne am Wasser, und im Sommer auch im Wasser …

Wie lebst du den Kreislauf der Jahreszeiten?
Ich lebe derzeit in einer Wiener Wohnung. Die meiste Zeit des Tages verbringe ich in geschlossenen Räumen. 5 Jahre lang habe ich hauptsächlich im Van gelebt und damals hatten das Wetter und Naturereignisse einen viel größeren Einfluss auf mich.
In wohltemperierten Innenräumen zu leben, hat durchaus sehr viele angenehme Seiten. Ich muss mich weder vor Sonne, Wind, Regen, noch großen Temperaturschwankungen schützen.



Aber an milden Sonnentagen vermisse ich das exponierte Leben im Van schon.
Den Kreislauf der Jahreszeiten spüre ich besonders im Bezug auf die Lichtverhältnisse. Wenn es im Winter schon am Nachmittag dunkel wird, habe ich keine Lust mehr raus zu gehen und mache es mir lieber zu Hause gemütlich.

Wie kann der moderne Mensch in Harmonie zur und mit der Welt leben?
Auf individueller Ebene wäre mein Vorschlag, in Bezug zur Mitwelt, zur Natur zu treten. Für sich eine Praxis der Kommunikation zu finden.
Auf globaler Ebene befürchte ich, dass es mit unserem wirtschaftlichen System und den Ideologien, die damit einhergehen (Patriarchat, Neoliberalismus, Kolonialismus,…), unmöglich sein wird, so eine Harmonie herzustellen, denn unser System beruht auf einer Ausbeutung der Natur und ihren Ressourcen (uns Menschen eingeschlossen).




Was braucht Liebe immer, um zu wachsen, blühen?
Ich denke, dass sich die Liebe in kleinen Gesten oft mehr noch als in großen Worten entfaltet.
Liebe ist die Art, wie ich mit mir selbst umgehe, mit Fremden, wie mit meinen Nächsten. Wie ich mit meiner Mitwelt in Beziehung trete.





Liebe ist an keine Bedingungen geknüpft.
Sie lässt sich in einer romantischen Partnerschaft erfahren, aber das ist nur ein Aspekt von vielen.
Als wertvolles Tool für ein liebevolles Miteinander erachte ich „Zuhören“.





Was lässt Liebe untergehen?
Angst.


Wie war Dein Weg zur Literatur und zum Tanz?
Literatur und Tanz begleitet mich seit meiner Kindheit. Ich habe als Kind viel gelesen, viel getanzt und Geschichten erfunden. Von journalistischen Texten hat sich mein Schreiben zur Prosa entwickelt. Von Afrikanischem Tanz habe ich zu Zeitgenössischem Tanz gefunden und jetzt bewege ich mich hauptsächlich in den Räumen von Axis Syllabus und Contact Improvisation.
Ich bin unglaublich dankbar, dass es mir möglich ist, meinen künstlerischen Impulsen nachzugehen.
Maßgeblich daran beteiligt ist meine Familie, die diesen Werdegang unterstützt hat und meine abstrusen Ideen wohlwollend hinnimmt…

Welche aktuellen Projektpläne hast Du?
Wieder einmal arbeite ich derzeit an der Schnittstelle von Text und Körper. Mich beschäftigt seit längerem die Frage, wie körperliche Dimensionen um Texte entstehen können.
Das letzte Projekt habe ich dazu im LOT realisiert. Das Projekt „Sporenflug“ beschäftigt sich mit dem Schreiben von sympoietischer Geschichten (nach Donna Haraway) und dem Weben von Myzel.



Welches Zitat aus „Undine geht“ möchtest Du uns mitgeben?
„Dann sind alle Wasser über die Ufer getreten, die Flüsse haben sich erhoben, die Seerosen sind gleich hundertweise erblüht und ertrunken, und das Meer war ein machtvoller Seufzer, es schlug, schlug und rannte und rollte gegen die Erde an, dass seine Lefzen trieften von weißem Schaum.“

Darf ich Dich zum Abschluss zu einem Akrostichon zu „Undine geht“ bitten?
Ucayali
Nil
Donau
Indus
Neretva
Enns
Garonne
Elbe
Hudson River
Tiber



„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
Natalie Campbell, Tänzerin, Schriftstellerin, performing „Undine geht“.
„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Fotos_Donau_Wien.

Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.
Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.
Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Alle Fotos & Interview_Walter Pobaschnig