Liebe Agnieszka Salamon, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Jetzt habe ich gerade viel zu tun. Ich inszeniere zurzeit in Wien eine Adaptation von einem polnischen Comicbuch („Abortion Stories“) über Abtreibungsproblematik und Frauenrechte für das Theater am Werk, Petersplatz. Das heißt viel Probenarbeit, die ich mit Familien- und Privatleben koordinieren muss.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Über die Geschichte lernen und aus ihr lernen. Versuchen, so viele Informationen über andere Menschen und ihre Motivation zu erfahren, bevor man Urteile fällt. Und vor allem versuchen, ruhig zu bleiben.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Für mich ist die Aufgabe des Theaters oder Films, Geschichten zu erzählen. Und das möglichst ehrlich und wahrhaftig. Damit die Zuschauer sich in diesen Geschichten selbst wiederfinden können und daraus entweder neue Erkenntnisse oder Trost finden können.

Was liest Du derzeit?
„Aborcja jest“ („Abtreibung ist da“), ein Buch der polnischen Autorin Katarzyna Wezyk über die Geschichte der Abtreibung, nicht nur in Polen.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Eine Stimme zu haben ist essenziell. Es schöpft zwar nicht die Rechte des Menschen aus, steht aber in ihrem Mittelpunkt. Man kann also die Geschichte der Frauenrechte und ihres Mangels als eine Geschichte des Schweigens und der Versuche, es zu brechen ansehen.

Vielen Dank für das Interview, liebe Agnieszka, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theaterprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Agnieszka Salamon _ Regisseurin, Schauspielerin
Zur Person _ Agnieszka Salamon ist 1975 in Wroclaw in Polen geboren und wuchs in Ostrowiec Swietokrzyski, einer industriell geprägten Kleinstadt auf. Sie studierte polnische Sprachwissenschaft an der Jagiellonischen Universität in Krakau und absolvierte ihre Schauspiel- und Puppenspielerausbildung an der staatlichen Schauspielschule in Wroclaw. Nach ihrem Diplom und einigen Engagements in Polen verlagerte sie 2001 ihren Lebensmittelpunkt nach Wien. Sie arbeitet vorwiegend mit freien Theatergruppen zusammen, mit dem Theater ortszeit (Salzburg / Wien), dem Theater des Lachens (Berlin) und in letzten Jahren mit der dänisch/österreichischen Performancegruppe SIGNA, bei der sie unter anderem in der Produktion „Wir Hunde / Us Dogs“ (Nestroy Preis 2016) mitspielte. Ihre Regietätigkeit begann mit der Gründung einer Theatergruppe polnischer Migranten in Wien, dem Theater AA-Vademecum.
Sie inszeniert seit fünfzehn Jahren politisch relevante polnische Texte und eigene Adaptationen von nicht dramatischen Werken. In Krakau inszenierte sie am Theater Laznia Nowa ein soziales Theaterprojekt mit Arbeitslosen aus Nowa Huta („Vademecum des Amateurtheaters“). Am Jungen Schauspielhaus in Düsseldorf führte sie
Regie bei einem integrativen Theaterprojekt mit Jugendlichen aus Deutschland und Polen („Born Digital“). Im Rahmen der WienWoche 2019 inszenierte sie „Tkaczki / die Spinnerinnen“, eine Performance über die Emanzipation und den Freiheitskampf von Textilarbeiterinnen. Diese wurde in einer Siebdruckwerkstatt aufgeführt.
Während der Corona Krise inszenierte sie mit ihrer polnischen Migrantengruppe das Stück „Zwei arme, polnisch sprechende Rumänen“ von Dorota Maslowska und nahm an der Performance „City of Whores“ von Natalie Assmann teil. 2021 / 22 arbeitete sie wieder mit der Gruppe SIGNA an der Performance „Die Ruhe“ im Deutschen Schauspielhaus Hamburg zusammen. Diese Inszenierung wurde mit einer Einladung zum Berliner Theatertreffen 2022 ausgezeichnet.
Agnieszka Salamon konzentriert sich bei ihren Arbeiten vor allem auf Probleme der Menschen, die aus verschiedenen Kulturen stammen, welche durch (freiwillige oder erzwungene) Migration ihre Identität neu suchen und gestalten müssen.
Fotos_ Teresa Marenzi
Walter Pobaschnig _ 2.4.2024