Liebe Anette Welp, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich stehe jeden Morgen gegen 6.30 Uhr auf – außer am Wochenende. Da ich vier Tage im Rathaus im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, freitags als Dozentin für kreatives Schreiben arbeite, ist kein Tag wie der andere. Meine Tage sind bewegt und gefüllt mit allem Möglichen. Ich beschreibe meinen Tag mal lyrisch:
Augen auf, Geist wach
Spuren meiner Seelenenergie.
Morgenkuss mit Teegeschmack
springe in das, was muss
tauche in das, was darf.
Freue mich über alles, was gelingt:
erblicken, begegnen, umarmen, erkennen, bewegen.
Tauchen in das hütende Dunkel der Nacht,
erholen von allem Herzbewegenden,
das der Tag bereitet hat.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Zurzeit drücken sich viele Themen an die Oberfläche. Unser Leben dreht sich auf den Kopf und manchmal ist es kaum auszuhalten, was sich da an die Oberfläche drückt.
Eigenverantwortung ist besonders wichtig für jeden von uns. Jeden Tag treffen wir Entscheidungen. Wir sollten klug, authentisch und wahrhaftig sein. Es entwickeln sich neue Lebensformen und Inhalte.
Es ist besonders wichtig, aus den Polarisierungen herauszuwachsen, uns bewusst zu machen, dass die Liebe ALLES ist. Gemeinsamkeiten erkennen und leben, achtsames Miteinander und Mut, für die Wahrheit einzustehen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Literatur hat große Kraft. Sie kann spiegeln, wecken, Grenzen überfliegen mit Gedanken und Worten. Literatur kann Seelen trösten und umarmen. Sie kann aufklären, warnen, ermutigen und Menschen verbinden.
Ich schreibe Prosa und Lyrik. Ich schreibe, weil ich es mich drängt. Weil mich das Leben reichlich bewegt. Weil ich mich durchs Schreiben und der intensiven Auseinandersetzung mit meinen Lebensthemen selbstentwickeln und selbstreflektieren, zu Klarheit und Erkenntnis gelangen kann. Weil zu meiner eigenen Überraschung immer wieder wunderbare Texte entstehen, die Bewegung bewirken – bei mir selbst und bei denjenigen, die meine Texte lesen.
„Entzündet mich ein Thema, entsteht ein Text. Eine Situation, ein Wort, eine Tat, irgendetwas, das mich berührt. Ich finde Worte in meinem Kopf und mich drängt es geradezu, sie aufzuschreiben. Einzig wichtig ist, dass meine Gedanken ihren Weg auf das Papier finden. Ist dieser Vorgang beendet, ist erst einmal Stille in meinem Kopf. Ich fühle mich entladen und kann frei atmen. Eine Geschichte, ein Gedicht oder eine Kolumne? Das entscheide ich später.“ (Aus meinem Essay: Warum sind Kolumnen ein Stück Literatur?)
Was liest Du derzeit?
Ich lese immer viele Bücher parallel. Im Moment lese ich:
„Die Rückkehr der weisen Frau“ von Miriam Wagenblast
„Liebe kann alles“ von Eva-Maria Zurhorst
„Sein & Werden“ von Liane Dirks
Und zwischendurch Gedichte, u.a. von Mascha Kaléko und Rainer Maria Rilke
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Mein eigenes Gedicht, weil es irgendwie immer wieder passt:
Racheengel
Während Racheengel Fallen stellen,
Wahrsager sich zu Seelenrettern gesellen,
schreit sich die Dummheit heiser,
die Wahrhaftigen werden leiser
und leiser
still.
Vielleicht auch nur übertönt,
von Scharlatanerie geschönt.
Während die Blödheit unerträglich
glaubt, sie könne siegen,
gibt es keine Rettung mehr,
es sei denn,
die Blödheit würde sich
in die Klugheit verlieben.
@Anette Welp
Vielen Dank für das Interview, liebe Anette, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Anette Welp, Schriftstellerin
Zur Person _ Anette Welp (*1963) studierte Germanistik, Pädagogik und Bibliothekswissenschaften. Sie absolvierte eine zweijährige Ausbildung zur systemischen Familienberaterin.
Die Schriftstellerin, Malerin, Verlegerin, mehrfache Literaturpreisträgerin und Dozentin für kreatives Schreiben gründete 2006 den Augen Auf Verlag, in dem bis heute vielzählige Bücher, Hörbücher und Kalender erschienen sind.
Anette Welp ist Mitglied in der DGPB (Deutschsprachige Gesellschaft für Poesie- und Bibliotherapie, kreatives Schreiben und Biographiearbeit e.V.) und seit 2023 Mitglied in der GEDOK Frankfurt Rhein Main e.V.
Zudem bietet die Dozentin in der Reihe »Bilder von der Seele schreiben« seit vielen Jahren KreativSchreibKurse an, die zu heilsamer Selbstreflektion anregen.
Hauptberuflich ist Anette Welp im Rathaus Trebur in den Bereichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Frauengleichstellung.
Homepage: www.vollweiblich.de
Die aktuelle Veröffentlichung von Anette Welp ist ein Mutter-Tochter-Projekt:

„Ein Wunder, bitte!“
Texte: Anette Welp
Fotografien: Nadine Grüßgen
Hardcover, 48 Seiten, A5-Format
ISBN 978-3-9825944-0-8
Preis: 15,00 Euro
Zum Buch: Anlass des Buches war die Rede von Anette Welp für das Projekt »Ungehaltene Reden von ungehaltenen Frauen«, das von der Stiftung Brückner-Kühner sowie dem Verlag S. Fischer Theater und Medien veranstaltet wurde.
Zwei Frauen, zwei Generationen: Mutter und Tochter – die eine Autorin, die andere Fotografin. Zwei Frauen mit mal gleichem, mal unterschiedlichem Blick in die Welt. Gemeinsam haben sie bereits einige Projekte an den Start gebracht. Und jetzt haben sie Seite an Seite ihr erstes Buch entwickelt und gestaltet.
»Wir sind zwei Künstlerinnen, die sowohl einen gleichen als auch unterschiedlichen Blick auf die aktuelle Weltsituation haben. Meine Freiheit, die Texte fotografisch so zu interpretieren, wie ich sie empfinde, hat dieses Buch zu einem ganz besonderen Mutter-Tochter-Projekt gemacht.« (Nadine Grüßgen)
Entstanden ist ein Buch mit Texten von Anette Welp und Fotografien von Nadine Grüßgen – jede mit ihrem ureigenen Blick auf das Leben, jede mit ihrem ureigenen Medium. Anette Welp, die Mutter, die Autorin beschreibt es mit ihren Worten; Nadine Grüßgen, die Tochter, die Fotografin zeigt es in ihren Bildern. Beide stehen nicht nur im Rahmen ihrer Familienbande wie auch als selbstbewusste Frauen Seite an Seite, sondern zeigen auch in ihrem künstlerischen Miteinander diese besondere Nähe, die sie verbindet, inspiriert, gegenseitig beflügelt und zu ihrem ersten Buch animierte.

Zu meinem „Augen Auf Verlag„:
Im März 2006 habe ich den Augen Auf Verlag gegründet. Der Name macht mich stolz. Ich habe ihn kreiert, wie so viele meiner Buchtitel. Seit 18 Jahren veröffentliche ich Bücher, Hörbücher, immerwährende Jahreskalender und widme mich besonderen Projekten.
Der Augen Auf Verlag lebt durch meine Menschen, die mir vertrauen, mir ihre Texte und Fotografien zur Verfügung stellen, mit mir gemeinsame Veranstaltungen planen und durchführen.
In den 18 Jahren bin ich mit meinem Verlag gewachsen. Ich habe viel Wissen hinzugewonnen. Mein bisheriger Weg ist durch wundervolle Begegnungen geprägt. Einen Verlag mit allem Drum und Dran zu führen, ist keine einfache Angelegenheit. Wie oft bin ich zerrissen, weil die Aufgaben in mir immer wieder die Frage aufbrachen: Was bin ich denn jetzt? Autorin, Lektorin oder Verlegerin.
Es war jedoch nicht nur immer kreativ, spannend, inspirierend. Es gibt Menschen, die mich in ungesunde Abhängigkeiten hineinprotegieren wollten. Es gibt energiefressende Menschen und es gibt Egoisten. Das zu erkennen, war meine Lernaufgabe. Meine Haltung war und ist die: Auf Augenhöhe können wir vieles gemeinsame schaffen. Es ist wundervoll, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, kleine Netzwerke aufzubauen, win-win-Situationen herzustellen.
Fotos_ Nadine Grüßgen
Walter Pobaschnig _ 29.3.2024