„Theater ist als Korrektiv, als Mahner*in, als Ort der Freude unabdingbar“ Paul Spittler, Regisseur _ Berlin 23.3.2024

Lieber Paul Spittler, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Wenn ich in meiner wirklich tollen Theaterwohnung am Theater am Werk in Meidling aufwache, dann zwitschern die Vögel dem anbrechenden Frühling entgegen, ich koche mir einen Kaffee und setze mich auf die Terrasse, bereite den Probentag vor und freue mich, mit meinen Kolleg*innen gleich auf der Probebühne nur zwei Stockwerke unter mir der Blutbuche, verschiedenen Kims, der Meer, der Großmeer, dem Kind und dem Universum zu begegnen.

Der Tag ist voll wunderbarer Probenmomente, teils kraftvoll und laut, teils still und fragil – immer beglückend. Abends falle ich ins Bett, erschöpft von dem vielen Sprechen der Meersprache und beseelt von dem Gefühl, ein wenig weiter gegangen zu sein, als ich mir am Morgen vielleicht noch zugetraut habe.

Paul Spittler, Regisseur

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ruhe und Besonnenheit. Selbstvertrauen in uns, Vertrauen in Kommunikation und den ehrlichen Blick einander in die Augen. Und guter Humor – und damit meine ich wirklich GUTEN Humor.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Was meint Neubeginn? Ich denke, das bezieht sich noch auf Covid und diesen uns aus einem kontinuierlichen Gefüge stoßenden Zeitabschnitt bis in das vergangene Jahr hinein?! Ich bin froh, dass das Theater „überlebt“ hat – auch wenn ich eigentlich nie daran gezweifelt habe. Es ist jetzt wieder als Korrektiv, als Mahner*in, als Ort der Freude unabdingbar – jedes „Ausverkauft“ von Theatervorstellungen treibt mir Tränen in die Augen. Das ist ein enorm wichtiges Zeichen! Aber das Theater darf sich jetzt nicht verlieren, muss den Kontakt zum Publikum nach dieser erzwungenen Unterbrechung der letzten Jahre behutsam und umsichtig wieder aufbauen. Das hat etwas mit Großzügigkeit und Empathie zu tun, mit Demut – und mit GUTEM Humor.

Was liest Du derzeit?

Neben dem ständigen Blättern während der Proben in „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon, lese ich derzeit „Frankissstein – eine Liebesgeschichte“, den aktuellen Roman der britischen Autorin Jeanette Winterson. Ein brüllend komischer und sehr hellsichtiger Text, der die Entstehungsgeschichte von Mary Shelleys „Frankenstein“ 1816 mit Recherchen zu Künstlicher Intelligenz eines unkonventionellen queeren Forscher*innenpaares im Post-Brexit England verknüpft. Unbedingt zu empfehlen!

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Wie unglaublich sanft und lebendig sich ein penetrierter Arsch anfühlt. Als wäre mensch ganz aus Seide gezimmert.“ – Kim de l’Horizon

Vielen Dank für das Interview, lieber Paul, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theaterprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Paul Spittler, Regisseur

Zur Person _ Paul Spittler (*1987) ist in Strausberg bei Berlin aufgewachsen und hat dort irgendwann das Abitur gemacht (wichtig!). Seine Schule des Lebens allerdings waren die Berliner Theater, Bars und Clubs – in denen er ab einem (viel zu) jungen Alter (viel zu) viel Zeit verbracht hat. Während und nachdem er in Dresden und Wien Literatur, Kultur und Theater studierte, arbeitete er als Assistent an verschiedenen Staats-, Stadt- und Off-Theaterbühnen und inszeniert seit 2020 regelmäßig an Stadt- und Staatstheatern und in der Freien Szene im gesamten deutschsprachigen Raum. Er lebt in Berlin, ist jedoch überall zuhaus.

www.paulspittler.com

Foto_ Julia Otto

Walter Pobaschnig _ 22.3.2024

https://literaturoutdoors.com

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