Liebe Sibylle Kefer, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus
Ich stehe jeden Tag mit meiner Familie auf, richte abwechselnd mit meinem Mann die Schuljause her und fahre dann an drei der fünf Schultage in meine musiktherapeutische Arbeitswelt. Am Abend dieser Tage koche ich meist für den nächsten Tag vor – oder mein Mann, eher aber ich.
Die restlichen vier Wochentage kann ich meine Zeit frei einteilen und beschäftige mich abwechselnd mit meiner Musik, der Vermarktung dieser, mit dem Einstudieren der Musik anderer, gebe Gesangsstunden, versorge die Kinder, verbringe Familienqualitätszeit und versuche, meine Freundschaften wieder etwas mehr und besser zu pflegen.
Und ich versuche mir Freiräume zu schaffen für mich.
Die weltpolitische Lage hat immer, gerade aber wieder besonders starken Einfluss auf meinen Alltag. Ich oszilliere zwischen Überblick schaffen versuchen und daran immer wieder zu scheitern, trotzdem weiterzusuchen, verletzbar zu bleiben, mich aber auch als feige zu erleben, aktiv zu sein und Abgrenzung.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Solidarität, Zusammenhalt, das Einstehen für unsere westlichen zivilgesellschaftlichen Werte, Zivilcourage, Wertschätzung und auch Abgrenzung, wo Toleranz inkonsequent wäre.
Immer wieder über alles Mögliche zu reden, auch das Anstrengende, wenn es auch nur einen Funken von Sinnhaftigkeit darin zu spüren gibt. Sonst halte ich es für Zeitverschwendung und ein sich Aufreiben, das nichts bringt und finde eine klare Grenzsetzung besser.
Wertschätzendes Interesse füreinander, sich zuzuhören, sich keine Gefühle abzusprechen, Erfahrungen zuzugestehen und daraus resultierende Konsequenzen gemeinsam zu beleuchten halte ich für einen Schlüssel – für Reflexion, auch für eventuelle Neuorientierung und Weiterentwicklung.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, der Kunst an sich zu?
Diese Frage beschäftigt mich auf mehreren Ebenen seit Jahren stark. Sowohl aus individueller persönlicher Sicht als auch aus gesellschaftspolitischer.
Wie ist unser gesellschaftlicher Wert der Kunst, der Musik?
Solange wir die Schulfächer so bewerten, so einordnen, wie wir es jetzt tun, finde ich, verschenken wir das kreative Potential unserer Kinder – unserer Zukunft.
Anstelle sie früh zu normieren, einzukasteln, zu bewerten, unsere Urteile drüberzulegen, könnten wir ihr frisches kreatives Potential wecken, nähren, unterstützen und nützen für eine funktionierendere vielfältigere Zukunft mit weniger Schwerpunkt auf Wettkampf und sich Messen – mit Blick auf Vielfalt als Chance anstelle Normierung als Basis.
Ich glaube, dass ein schöpferischer Prozess, der in sich wertfrei umgesetzt werden darf, viel an positiver verbindender kreativer Kraft in sich birgt, die sich dann selbst nach außen öffnen würde, und dessen zivilgesellschaftlichen Nutzen wir derzeit nicht erkennen und nicht hoch genug einschätzen.
Jeder musiktherapeutische musikalische Interaktionsmoment, den ich seit 20 Jahren erleben und mitgestalten darf beinhaltet so viel schöpferische Kraft, soviel kanalisierende Energie, dass es eine Freude ist, diese Prozesse begleiten zu dürfen.
Jede Zeug*innenenschaft ermöglicht ein Eintauchen und Teilen dieser. Das macht sie noch größer. Dies wird mir eindrücklich immer wieder von teilhabenden Eltern vorgelebt.
Und um konkreter zu werden:
Musik hat die Fähigkeit einer Direktheit, einer Zeitlosigkeit, eines Momenterlebens – ein ungefilterter Zugang zu unserer Emotionalität.
Unvergleichbar und stark.
Ich habe kein Problem damit, dass wir immer wieder versuchen, sie zu bändigen, zu kanalisieren, sie einzuteilen und sie uns zu Nutze zu machen.
Aber entwerten wir sie nicht. Und vergessen wir nicht, was sie kann und ist, und geben wir ihr im positivsten Sinne die Wirkkraft, die sie hat.
Man muss sie nur lassen. Nehmen wir uns die Zeit (in der Entwicklung der Kinder, in der Verankerung im Bildungswesen und ganz konkret im aktiven Gestalten, Zuhören, Resonanz sein und Beteiligen).
singen wir, spielen wir, gestalten wir und lassen wir unsere Synapsen überspringen!
Was liest Du derzeit?
Max Frisch „Homo Faber“, Rick Rubin „The Creative Act“, Harald Welzer „Die smarte Diktatur – der Angriff auf unsere Freiheit“. Aber ich brauche seeeeeeehr lange – fürs Konzentrieren, fürs Zeit freischaufeln, fürs Brille suchen und ich verdaue in Häppchen. Aber es wird!
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Wir können gestalten.
(konkret aus Welzer, passt aber übergreifend auf alle)

Vielen Dank für das Interview, liebe Sibylle, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Musikprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Sibylle Kefer, Musikerin und Musiktherapeutin
Zur Person _ Sibylle Kefer, 1976 in Bad Ischl geboren, wohnhaft in Bad Goisern und Wien, Musikerin und Musiktherapeutin, wurde einem breiteren Publikum durch ihre zweimalige künstlerische Mitwirkung bei der Eröffnung der Wiener Festwochen bekannt. Sie war Mitglied der Ausseer Hardbradlern, arbeitet seit mehr als einer Dekade mit Ernst Molden zusammen und stand viele Male dadurch auch mit Willi Resetarits auf der Bühne.
Als Solo-Künstlerin veröffentliche die Mutter dreier Kinder bislang sechs Solo-Alben. 2017 war ihr reduziertes, dafür umso eindringlicheres 4. Album zugleich die Erstveröffentlichung des neu gegründeten Labels von Ernst Molden und Charlie Bader badermolden-recordings.
Ihre unprätentiösen Texte sind von einem entwaffnenden Humanismus und Feminismus geprägt, die sich solcher Begriffe nicht bedienen und ihre Zuhörer*innen sehr unmittelbar „erwischen“, eine unverstellte Direktheit und (!) sensible Achtsamkeit, die sie sich auch bei ihrer Präsenz in sozialen Medien angelegen sein lässt.
Ihr 2023 erschienenes 6. Soloalbum „hoid“ erfährt große Resonanz im deutschsprachigen Raum, das Releasekonzert wird auf Ö1 übertragen. Auf diesem Album findet sich auch der 2021 vom ORF für das internationale Format New European Songbook in Auftrag gegebene und in Zusammenarbeit mit dem Herbert Pixner Projekt umgesetzte Song „liawa hoffnung“.
https://www.sibyllekefer.at/blog/
Fotos_ Carina Antl
Walter Pobaschnig _ 28.2.2024