Liebe Nerea Burger, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Manchmal wünschte ich, mein Tagesablauf wäre jeden Tag gleich. Tatsächlich ändert er sich immer wieder. Das liegt daran, dass ich in verschiedenen Bereichen arbeite und abhängig vom Projekt ein Bereich manchmal präsenter ist als der andere.
Momentan schreibe ich vor allem und verbringe einen Großteil meines Tages in der Bib. Entweder ich schreibe an meinen eigenen Texten oder für eine NGO, für die ich regelmäßig tätig bin. Einzig der Dienstag ist für Yoga reserviert: Ich bereite meine Flows für Mittwoch und Donnerstag vor. An den beiden Tagen unterrichte ich nämlich in der Früh. Aber das ändert sich mit Anfang März wieder.

manchmal auch Yoga-Lehrerin.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Momente der Stille, der Pause, der Zeit weg von Bildschirmen, Handys und Dauerbeschallung. Bewusst dafür zu sorgen, dass weniger Reize unkontrolliert auf uns einprasseln.
Momente des Innehaltens, des Sich-Fragens: Will ich das gerade wirklich? Tut mir das gut? Was ist das eigentlich für ein Gefühl, das ich da gerade fühle?
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater, der Kunst an sich zu?
Ich sehe die immer schnelllebigere Online-Welt mit Instagram, TikTok und inzwischen bestimmt tausend anderen Diensten, die ich Millennial nicht kenne, zunehmend kritisch. Alles wird oberflächlicher, unechter, undurchschaubarer. Wenn es jemand oder etwas nach den ersten drei Sekunden nicht schafft, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen, scrolle ich weiter. Ist ein Beitrag nicht crazy, bunt, exzentrisch genug, hat er keine Chance. Ich muss mich nicht von zu Hause weg bewegen, sondern kann alles on demand konsumieren. Unterhaltung und Information sind inflationär vorhanden, die Auswahl ist überfordernd, die eigene Online-Aktivität zu „genießen“ und wirklich achtsam mit ihr zu sein, scheint mir immer schwieriger zu werden. Ich deaktiviere deshalb regelmäßig mein Instagram.
Ich wünsche mir wieder mehr Langsamkeit, mehr Bewusstsein, mehr Offline-Zeit.
Die Kunst kann das leisten. In einer Ausstellung, auf einem Konzert, im Theater sind wir im Hier und Jetzt. Bestenfalls macht das etwas mit uns, stößt innere Prozesse an. Die Kunst ist schließlich dazu da, uns die Augen zu öffnen. Den Blick zu schärfen, uns Denkimpulse zu geben und den Mut zum Umdenken. Vor allem in Bezug auf das Theater besteht die Schwierigkeit heutzutage darin, dass es die Leute erreicht. Ins Kino gehen die Menschen noch, auf Netflix schauen sie so viele Filme und Serien wie nie. Wir dürfen und müssen neue Wege gehen, um mehr Menschen außerhalb der Bubble, vor allem junge, ins Theater zu holen.

Was liest Du derzeit?
Ich hab über Weihnachten „Mädchen, Frau etc.“ von Bernardine Evaristo gelesen. Großartig! Es ist lustig und traurig und wahnsinnig klug. Das Buch packt einen direkt, auch durch den experimentellen Schreibstil. Und es werden so viele verschiedene Frauenbilder und Lebensentwürfe gezeichnet. Jetzt gerade teilen sich „Alte Meister“ von Thomas Bernhard und „Kreativ. Die Kunst zu sein“ von Rick Rubin den Platz neben meinem Bett.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ich habe kürzlich das Gedicht „When death comes“ von Mary Oliver entdeckt. Es hat mich nicht nur sehr berührt, ich dachte auch: Ja, genau so möchte ich am Ende meiner Tage dastehen. Ich möchte offen sein für das, was kommt. Und sagen können, dass ich mein Leben lang eine mit dem Staunen vermählte Braut gewesen bin.
When death comes
like the hungry bear in autumn;
when death comes and takes all the bright coins from his purse
to buy me, and snaps the purse shut;
when death comes
like the measle-pox
when death comes
like an iceberg between the shoulder blades,
I want to step through the door full of curiosity, wondering:
what is it going to be like, that cottage of darkness?
And therefore I look upon everything
as a brotherhood and a sisterhood,
and I look upon time as no more than an idea,
and I consider eternity as another possibility,
and I think of each life as a flower, as common
as a field daisy, and as singular,
and each name a comfortable music in the mouth,
tending, as all music does, toward silence,
and each body a lion of courage, and something
precious to the earth.
When it’s over, I want to say all my life
I was a bride married to amazement.
I was the bridegroom, taking the world into my arms
When it’s over, I don’t want to wonder
if I have made of my life something particular, and real.
I don’t want to find myself sighing and frightened,
or full of argument.
I don’t want to end up simply having visited this world
Mary Oliver
When Death Comes

manchmal auch Yoga-Lehrerin.
Vielen Dank für das Interview, liebe Nerea, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Schauspiel- Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Nerea Burger _ Autorin, Schauspielerin, Yoga-Lehrerin
Zur Person _ Nerea Burger ist Autorin und Schauspielerin, Yoga-Lehrerin. Sie lebt in Wien.
Fotos _ 1, 3 Julia Dragosits; 2 Luisa Zoe.
Walter Pobaschnig _ 20.2.2024