Liebe Simone Uebelhart, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?
Ich habe keinen fixen Tagesablauf. Was auf jeden Fall dazugehört: der Moment für mich allein mit einer Tasse Kaffee oder Tee nach dem Aufstehen und Zähneputzen. Auch Bewegung gehört unbedingt dazu, sei es im Fitnessstudio, zu Hause auf der Yogamatte oder draußen in der Natur.
Als Broterwerb – allerdings empfinde ich es als einen schönen, erfüllenden Broterwerb – unterrichte ich Deutsch als Fremdsprache. Meine Unterrichtszeiten sind dem Stundenplan der Schauspielschule angepasst, das heißt, sie sind sehr unterschiedlich. Mal unterrichte ich morgens, dann wieder nachmittags oder abends. Auch die Orte und die Teilnehmenden unterscheiden sich. Daneben arbeite ich außerdem als freiberufliche Autorin von Lernmaterialien. Dazwischen habe ich Schauspielunterricht, übe Rollen ein oder recherchiere. Ich genieße dabei die Abwechslung und Flexibilität, verspüre aber hin und wieder auch eine gewisse Sehnsucht nach etwas mehr Routine.
Wenn es mein Stundenplan zulässt, koche ich mir gerne mindestens eine frische Mahlzeit pro Tag. Wichtig ist mir auch der tägliche Austausch mit Menschen, die mir lieb sind, sei es persönlich, per Telefon oder zumindest über Textnachrichten.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Liebe. Ich meine damit keine Rosafärberei. Nehmen wir zum Beispiel den Tagesablauf, den ich gerade beschrieben habe. Wenn ich all diese Dinge mit Liebe tue – und dafür muss ich sie nicht alle lieben – aber wenn ich sie bewusst tue und ihren Wert schätze – und Wert haben sie alle, sonst täte ich sie nicht – dann macht das einen Unterschied. In diesem Fall natürlich in erster Linie für mich. Aber wir können diesen Blick, diese Einstellung auf alles anwenden. Dafür müssen wir teilweise langsamer und bedachter werden. Weniger tun, weniger schnell reagieren, uns mehr Zeit lassen, einander zuhören. Dem Tempo um uns herum zum Trotz. Ich stelle mir das bildlich vor: Wenn die Welt um mich herum immer schneller und multipler wird, muss ich einen Gegenpol bilden, damit nicht alles in Entropie versinkt. Dieser Gegenpol wird mit der Welt um ihn herum interagieren und etwas Neues entsteht daraus. Die bunte, hektische, oft überfordernde und manchmal erbarmungslos scheinende Welt um uns herum ist nicht schlecht, sondern trägt genauso zur Entstehung des Neuen bei. Aber wenn ich, wenn wir nicht mit Liebe, Wertschätzung und Bedacht dagegenhalten, dann wird aus uns nichts Neues entstehen. Ich sage bewusst „aus uns“, denn Neues wird auch ohne uns, ohne den Menschen, immer weiter entstehen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?
Tun oder taten wir das nicht immer und zu jeder Zeit? Aber ich mag das Bild des Aufbruchs und Neubeginns und ich denke, man kann sich immer dafür entscheiden, dass genau jetzt der Zeitpunkt dazu da ist. Und dann ist er es auch. Welche Rolle dabei der Kunst zukommt, hängt natürlich davon ab, was man als Kunst definiert. Für mich war Kunst immer etwas, wofür man Leidenschaft braucht, beziehungsweise was Leidenschaft erzeugt. Und etwas, das dem kapitalistischen Streben nach Schneller und Mehr entgegensteht. Ich meine damit weder, dass die Kunst davon abgekoppelt ist, noch, dass sie das Ziel haben soll, das kapitalistische System zu zerstören. Ich meine, dass sie, dadurch, dass sie andere Werte und Maßstäbe hat – ein anderes Tempo, eine andere Struktur – ein hohes Potenzial hat, um Neues zu schaffen, und auch um Menschen zu verbinden. Dies ist meiner Meinung nach besonders wichtig, um einer zunehmenden Polarisierung entgegenzuhalten.
Was liest du derzeit?
„Moral über alles?“ von Michael Lüders
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest du uns mitgeben?
Es ist wie es ist.
Vielen Dank für das Interview, liebe Simone, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspiel-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:
Simone Uebelhart, Schauspielerin
Zur Person _ Simone Uebelhart, ich bin am 17. Mai 1980 in Solothurn in der Schweiz geboren. Aufgewachsen bin ich auf dem Land, in Messen, einem 1000-Seelen-Dorf in der Schweiz. Nach der Matura bin ich nach Genf gezogen, wo ich einen Bachelor in Linguistik und Germanistik absolviert habe. Dann führte mich der Wunsch, Cognitive Sciences zu studieren, nach Wien. Ich absolvierte hier ein Masterstudium und arbeitete danach einige Jahre im Sozial- und Bildungsbereich. Ich bildete mich unter anderem im Bereich Theaterpädagogik weiter und kam so wieder mit meinem nie verfolgten Kindheitstraum, auf der Bühne zu stehen, in Berührung. Nach einigen Kursen entschloss ich mich schließlich zu einem Schauspielstudium, das ich im März dieses Jahres abschließen werde.
Fotos_privat
Walter Pobaschnig _ 24.1.2024