Lieber Hans-Jürgen Hilbig, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
wenn ich nicht arbeiten muss, trinke ich morgens erst einmal ein wenig Marina Zwetajewas Gedichte, wenn das nicht hilft, wird es ein verlorener Tag.
Mittags sitze ich meistens rum und betrachte abwechselnd Bilder von Taylor Swift und Samuel Beckett, ich entdecken eine Ähnlichkeit, über die ich nicht gerne rede und auch nicht reden kann. Denn diese Ähnlichkeit ist das Schweigen, mit dem das Pferd das Einhorn betrachtet.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Für uns? Ich mag nicht für uns sprechen, für uns existiert nicht, selbst wenn man es tausendfach schreibt, es gibt kein uns, es gibt nur Kaffeetassen, nach denen sich der Vergessene ausstreckt, den Schriftsteller und Dichter sind Vergessene, nur das erlaubt es ihnen jeden Morgen zu erwachen und weiterzumachen, warum man weitermacht, weiß kein Mensch, aber dieses Uns ist seltsam, uns kann keiner was, das gefällt mir, weil es für sich spricht, ansonsten ist das Uns seltsam.
Es gibt eine einzige Gemeinsamkeit die ich uns tatsächlich zutraue, das ist die Liebe. Die Liebe unbedingt. In all ihren Formen, mit all ihren Narben, wie Sarah Connor singt oder um Taylor Swift zu zitieren, „ Ladies and gentlemen, will you please stand?
With every guitar string scar on my hand
I take this magnetic force of a man to be my lover
My heart’s been borrowed and yours has been blue
All’s well that ends well to end up with you
Swear to be overdramatic and true to my lover
And you’ll save all your dirtiest jokes for me
And at every table, I’ll save you a seat, lover (Taylor Swift, Lover)
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Hm, ich sehe keinen Aufbruch, ich sehe einen Abbruch, überall, die literarischen Schwächen in diesem Land werden weiter ausgebaut, was mich wenig zu kümmern hat, da das alles ohnedies ohne mich abläuft, natürlich gibt es Ausnahmen, oh ich liebe diese Ausnahmen, der Roman von Britta Boerdner „Am Tag als Frank Z. in den grünen Baum kam“, ist für mich ein Beispiel, dass es möglich ist, gute Literatur ist möglich.
Was liest Du derzeit?
Die Gedichte von Selma Meerbaum- Eisinger
John Fosse Melancholie
Herve Le Tellier Die Anomalie
und immer wieder Kafka, Beckett, Borges, Kis und so weiter und so fort
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Can I go where you go?
Can we always be this close forever and ever?
And ah, take me out, and take me home (forever and ever)
You’re my, my, my, my
Lover
(Taylor Swift, Lover)
Vielen Dank für das Interview, lieber Hans-Jürgen, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler:innen:
Hans-Jürgen Hilbig, Dichter
Zur Person _ 15 Januar geboren, irgendwann kam eine Schreibmaschine angeflattert, Veröffentlichungen in der von Sibylle Berg herausgegebenen Kult (gibt es leider nimmer) Hörbuch, Elke erzählt gesprochen von der allerliebsten Jo Kern…

Fotos_privat
Walter Pobaschnig _ 17.1.2024