„sich nicht zu verstricken, nicht verstricken zu lassen von unlauteren Maschen“ Heike Fiedler, Schriftstellerin _ Genf 24.1.2024

Liebe Heike Fiedler, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Betonung auf jetzt. Ich schreibe, lese, sehe Filme, die letzten: Anatomie d’une chute, Subtraction, Perfect Days. Ich übersetze und überlese, teils auf Anfrage, teils aus eigener Motivation. Ich hatte gerade zwei Tage meine Enkelkinder zu Besuch, mache Yoga, schwimme und habe einen neuen Text im Rahmen meines Endlos-PhD-Projektes verfasst. Ich denke an Vergangenes (München, Abidjan im Dezember) und an Kommendes in Verbindung mit meiner Dichtung, meinem Schreiben, meiner Performance-Arbeit und ans nächste Event, 15. Januar, Literaturhaus Zürich: Weltenlesen. Vor mir eine dunkelblaue Teekanne, rechts der Blick auf das Wortbild an der Wand: crisis

Heike Fiedler, Schriftstellerin_
sound and visual artist

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Frieden. Doch selbst das Wort ist schon kompliziert geworden. Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, Terror und Krieg im Nahen Osten.

und

Entpatriarchalisierung. Das könnte mit Frieden einhergehen. Vielleicht. Aber es geht bei der Entpatriarchalisierung ja um mehr, um vieles, um die Rechte der Frauen, der Mädchen, um die Sensibilisierung gegen strukturelle, psychische und physische Gewalt, der wir – hier kollektiv gedacht – zu oft immer wieder ausgesetzt sind. Daran denken, trotz (auch wegen) der Kriege in der Welt.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ich will nicht Neubeginn sagen, eher Weitermachen. Wir stehen an einem neunen Punkt in den Rhizomen des Weitermachens, ein neuer Knotenpunkt. Wesentlich ist, sich nicht zu verstricken, nicht verstricken zu lassen von unlauteren Maschen, zum Beispiel Hetzreden, (social) media Manipulation, Entwurf von Feindbildern zur Rechtfertigung von dominanten und/oder zerstörenden Strukturen. Literatur und Kunst re-agieren in der Gegenwart auf selbige, sind oft Widerstand gegen Macht und Gewalt. Manchmal lesen wir Texte von damals, holen sie in unsere Gegenwart hinein. Dann sind sie Widerstand gegen das Vergessen.

Ich bin mit der Nachkriegsliteratur sozusagen aufgewachsen, in sie reingewachsen worden. Es wäre falsch, zu sagen, mich interessiere die politische Seite von Literatur und Kunst nicht. Sei sie auch Auslöser von vehementen Diskussionen, Rücktritten, Austritten, von Debatten immerhin.

Literatur und Kunst sind das Treibende, das, was Bewegung im Denken einfordert, aber nicht erzwingt. Es sind die politischen Regime, die versuchen, Schriftsteller:innen und Künstler:innen in die Knie zwingen, sozusagen, beziehungsweise, je nach Ort, in Gefängnisse, Lager, Isolation, manchmal den Tod.

Was liest Du derzeit?

Ich habe gerade «La vie tranquille» von Marguerite Duras beendet, liege in den letzten Seiten des Buches «Glück» von Dragica Holzner, in meiner nächsten Nähe liegt das Buch «In jeden Fluss mündet ein Meer» von José F. A. Oliver.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Wer es könnte

die Welt

hochwerfen

daß der Wind

hindurchfährt.

(Hilde Domin)

la poésie … dem Schweigen stets einen Vers voraus

(Heike Fiedler)

Vielen Dank für das Interview, liebe Heike, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

Heike Fiedler, Schriftstellerin_
sound and visual artist

5 Fragen an Künstler:innen:

Heike Fiedler, Schriftstellerin, sound and visual artist

https://heikefiedler.ch/

Fotos _ 1 Jean-Michel Etchemaïté; 2 genevAfrika.

Walter Pobaschnig _ 6.1.2024

https://literaturoutdoors.com

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