„Ein Gewissen zu haben und uns daran erinnern, dass wir Menschen sind“ Björn Hayer, Schriftsteller _ Lemberg/D 22.1.2024

Lieber Björn Hayer, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Schreiben und lesen, um nicht wahnsinnig zu werden. Wachsein in der Nacht, um nicht der Finsternis einer zunehmend beklemmenden Welt zu erliegen. Eremitisch sein, bis mich die Welt wieder hinausdrängt, hinein in das Theater, den irgendwie letztem Wort, wo man im Schein noch Wahres findet

Björn Hayer, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ein Gewissen zu haben und uns daran erinnern, dass wir Menschen sind. Wir glauben zu oft, dass uns die Moral an die Spitze der Schöpfung stellt und zur Abgrenzung dient. Dies ist ein Trugschluss. Moral befähigt uns dazu, uns mit allen Wesen verbunden zu sehen. Sie befähigt uns dazu, Gutes tun zu können. Dessen sollten wir uns gewahr werden, wenn wir all die Kriege auf dieser Welt in den Blick nehmen, sowohl die offensichtlichen zwischen Menschen und den Konstruktionen von Nation, als auch die versteckten, barbarischen zwischen den Spezies, also zwischen Mensch und Tier

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Zunächst stellt die Kunst das Medium der Utopie dar. Sie kann aufbrechen in unbekannte Gefilde und uns, wie Bloch schreibt, einen Vorschein des Noch-Nicht-Gewordenen vermitteln. Jenseits von sicherlich angebrachten Dystopien, die wir in den vergangenen Jahren zur Genüge gelesen und gesehen haben, würde ich mir noch mehr von diesem Möglichkeitssinn wünschen. Soweit zum Zweckoptimismus.

Was Kunst jedoch auch vermag, ist zu verhindern, dass wir leer und stumm werden. Man verkommt in dieser Katastrophenmeldungsflut und verlernt, wahres Gefühl zu erleben. Dieses kann uns berührende Kunst wiedergeben, in Emotionen wie Traurigkeit genauso wie großer Freude. Sie bietet Möglichkeiten intensiven Erlebens, was zugleich all das so nötige trostspendende Potenzial von Literatur, Theater, Kino, Musik und Malerei freisetzt

Was liest Du derzeit?

Ganz viel Marguerite Duras für ein Auftragsbuch. Und damit ganz viel Liebe mitsamt ihrer sinneserweiternden und selbstzerstörerischen Sprengkraft

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Dieses kurze Gedicht von Rilke:

Bist du so müd? Ich will dich leise leiten

aus diesem Lärm, der längst auch mich verdroß.

Wir werden wund im Zwange dieser Zeiten.

Schau, hinterm Wald, in dem wir schauernd schreiten,

harrt schon der Abend wie ein helles Schloß.

Komm du mit mir. Es soll kein Morgen wissen,

und deiner Schönheit lauscht kein Licht im Haus …

Dein Duft geht wie ein Frühling durch die Kissen:

Der Tag hat alle Träume mir zerrissen, –

du, winde wieder einen Kranz daraus.

Vielen Dank für das Interview, lieber Björnviel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

Björn Hayer, Schriftsteller

5 Fragen an Künstler*innen:

Björn Hayer, Schriftsteller

Zur Person _ Björn Hayer schreibt Lyrik, Essays und Prosa, zudem ist der 1987 in Mannheim geborene und habilitierte Germanist als Literatur- und Theaterkritiker tätig.

Fotos_ privat

Walter Pobaschnig _ 8.1.2024

https://literaturoutdoors.com

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