Lieber Bernhard Dechant, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Aufstehen / vor mir selbst und den Herausforderungen, die sich mir stellen, so lange wie möglich fliehen / Essen / mich mir selbst und den Herausforderungen stellen / daran verzweifeln / Essen / Wege finden die Verzweiflung in positive Energie umzuwandeln, bestenfalls in künstlerische Projekte zu transformieren / Essen / mir abends vornehmen, am nächsten Tag nicht wieder den halben Tag an Flucht und Verzweiflung zu verschwenden

Foto/folgende _ aktuelle Produktion: „Oskar Werner – Kompromisslos in die Wiedergeburt“
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich glaube, das was für uns jetzt alle besonders wichtig ist, immer schon für uns alle wichtig war, wobei ich den Begriff alle nicht wirklich fassen kann, weil es ja doch sehr viele sind und wenn ich mir die Welt anschaue bezweifle, dass es ein alle überhaupt gibt oder besser gesagt, dass es ein alle gibt, denen dasselbe wichtig ist.
Deswegen kann ich nur sagen, was mir wichtig ist: Solidarität, Empathie, Liebe, Vertrauen, Selbstbewusstsein, Mut, Zivilcourage, Freiheit, Friede, Lust, Humor, Grundeinkommen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ich glaube, dass wir am Anfang der Epoche einer neuen oder zweiten Aufklärung stehen. Der Glaube an unendliches Wirtschaftswachstum und einen göttlichen allwissenden Markt, dessen Lehre von neoliberalen Propheten in gläsernen Kathedralen über unsere Banknoten gepredigt wird, scheint an der Endlichkeit unsere Erde und ihrer Ressourcen zu zerbrechen.
Es wird eine Transformation stattfinden, die die Menschheit entweder auf eine neue, höhere Form des Bewusstseins und des Zusammenlebens führt oder – wie es jetzt scheint – in ein neues barbarisches Mittelalter.
In meinen Augen ist die Aufgabe der Kunst bei diesem Prozess, positive Utopien wie negative Dystopien fühl- und erlebbar zu machen, mögliche Zukünfte ins Jetzt zu holen, um das Jetzt in der Zukunft zu verhindern .

Was liest Du derzeit?
Der radikale Poet Werner Schwab
von Helmut Grugger
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Kunst ist, wenn man’s nicht kann, denn wenn man’s kann, ist’s keine Kunst.“
Johann Nestroy
Aktuelles Theaterprojekt von und mit Bernhard Dechant:
„Oskar Werner – Kompromisslos in die Wiedergeburt“

Ein Österreichisches Drama
von und mit:
SOPHIE RESCH (Regie & Dramaturgie, Text)
BERNHARD DECHANT (Schauspiel, Konzept & Text)
STEFAN STERZINGER (Musik)
Premiere Fr 19.1.2024
Weitere Vorstellungen: 31.1, 1.2, 2.2 und 3.2.2024 Beginn: 20h
Lokal Spitzer im Odeon 1020 Wien; Taborstraße 10 (Eingang im Durchgang zur Großen Mohrengasse)



Vielen Dank für das Interview, lieber Bernhard, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Bernhard Dechant, Schauspieler, Autor und Regisseur
Zur Person _ Bernhard Dechant wurde 1976 geboren und lebt derzeit als freier Schauspieler, Autor und Regisseur in Wien.
Studierte von 1997 bis 2000 Psychologie und von 2000 bis 2003 Schauspiel in Wien.
Spielt derzeit „OSKAR WERNER /Kompromisslos in die Wiedergeburt „ Text von Bernhard Dechant unter der Regie von Sophie Resch im Spitzer/Odeon Theater Wien und unter der Regie von Christina Tscharyiski “HEIL.Eine energetische Reinigung” von Stefanie Sargnagl im Rabenhof Wien
Von 2004 bis 2008 Ensemblemitglied am Theaterhaus Jena.
2008 gewann er mit der von ihm entwickelten und inszenierten Version von „Don Quichote“ den Publikumspreis des 100° Festivals Berlin.
Für das Jahr 2009 wurde er von Christoph Schlingensief für das Fach Regie als Stipendiat der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart ausgewählt.
2010 erhielt er mit dem Caleidospheres e.V. den Förderpreis der LAG Soziokultur Thüringen „Kulturriese 2010″.
2013 erhielt er für das Solostück „Braveheart“ den deutschen Monologpreis „Tonella“.
2015 Nestroy-Preis als Teil des Ensembles für die beste Off- Produktion für „Proletenpassion ff.“ und Extra-Nestroy-Preis für das von ihm mitgegründete Künstler*innenkollektiv „Die Schweigende Mehrheit“,
2016 Preis der Freien Szene und Nominierung für den Nestroy-Spezialpreis für „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“.
2017 Dorothea Neff Preis für „Traiskirchen. Das Musical“.
2018 Stadtteilprojekt „WirKommen.at“
2018 Karl Anton Wolf Preis für „Die Schweigende Mehrheit“.
Als Schauspieler arbeitete er unter anderem mit Claus Peymann, Markus Heinzelmann, Hartmut Wickert, Peter Kern, Alice Buddeberg, Tomas Schweigen, Eike Hannemann, norton.commander.Productions, Michael Schachermaier, Christine Eder, Anna Badora, Alexander Charim, Tina Leisch und Christina Tscharyiski.
Fotos: Produktion „Oskar Werner – Kompromisslos in die Wiedergeburt„ _ Thomas Lieser
Foto_Portrait Sophie Resch_ Walter Pobaschnig 8/20
Walter Pobaschnig _ 10.1.2024