Liebe Diana Hellwig, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Morgens als erstes das Radio an, auch wenn ich es sofort wieder ausmachen möchte, weil die Nachrichten mir so nahe gehen und ich verzweifeln möchte. Dann Kaffeetrinken, das erste aufschreiben. Neben mir liegt ein Notizblock. Die Gedanken, die kommen, haben fast immer was mit dem Gehörten oder auch Gelesenen zu tun. Meistens liegen noch ungelesene Wochenendausgaben der Süddeutschen da. Die Texte dieser Zeitung haben oft über den Tag hinaus Gültigkeit.
Nach dem Frühstück fahre ich entweder mit dem Rad ins Büro zur Arbeit, die mir meinen Lebensunterhalt einbringt, oder, an freien Tagen, und wenn ich die Augen vor der häuslichen To-do-Liste verschließe, verschwinde ich in mein Zimmer und versuche, an den aktuell entstehenden Texten weiter zu arbeiten. Ich schreibe an einer aus Kurzprosa zusammengesetzten Collage der jüngeren, auch autobiografischen, Geschichte. Für meine Umgebung bin ich dann erst einmal nicht erreichbar.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich erachte es als weiterhin wichtig, mit den Leuten, im Gespräch zu bleiben, auch und gerade wenn sie Verschwörungsmythen und Demagogen aufsitzen; und auch wenn ich dabei an den Rand meiner seelischen Möglichkeiten komme. Eine Bekannte bereitet sich beispielsweise ernsthaft auf kriegerische Auseinandersetzungen in Deutschland vor und treibt ihre Kinder in den Wald zu Outdoor-Trainings. Ihre Überzeugung, dass insbesondere Russland das bessere Land zum Leben und „ein bißchen“ Diktatur gut sei, etc., bringt mich in Rage, und ich widerspreche mit allen mir zur Verfügung stehenden argumentativen Mitteln, weil ich denke, wenn ich jetzt schweige und meine Ruhe haben möchte, ist das schon eine Zustimmung.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Literatur und Kunst sind mächtige Kräfte der Schönheit, der seelischen und intellektuellen Ausdehnung, auch des Spiels, und in jedem Fall der Freiheit. Der Freiheit, über die Grenzen hinaus zu denken, neue Zusammenhänge zu erfahren, das eigene Leben in den großen Fluss der Geschichte, aber auch des Jetzt einzuordnen.
Was liest Du derzeit?
Den Katalog „Menschen anSchauen“ des Dresdner Stadtmuseums und den Katalog „FROM SAMOA with love?“ (Hirmer) über die Samoa-Völkerschauen im deutschen Kaiserreich. Diese Geschichte scheint ja weit weg zu sein. In Wirklichkeit ist das gerade einmal gut hundert Jahre her. Zwei, drei Generationen. Und der Samen für vieles, was heute auf der Welt geschieht, wurde damals gelegt.
Außerdem habe ich den Reader „Im Krieg; Ukraine, Belarus, Russland“ und „Die große Abwesenheit“ von Kurt Drawert (beides Spector Books), frisch auf dem Tisch, dazu noch „Radios mit Naturstimme“ von Manuela Bibrach (Dr. Ziethen Verlag), „Bilderbuch“ von Theresia Enzensberger (Sorry Books) und „Abraum, schilfern“ von Linn Penelope Micklitz (Trottoir Noir).
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Die Fakten preiszugeben, heißt, die Freiheit preiszugeben. Wenn nichts wahr ist, kann niemand mehr Kritik üben, gibt es keine Grundlage, auf der wir gemeinsam stehen. Wenn nichts wahr ist, dann ist alles Spektakel. Die dickste Geldbörse zahlt für die blendendsten Lichter.“
Dieses Zitat stammt aus dem überaus erhellenden Buch „Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ von Timothy Snyder.
Vielen Dank für das Interview, liebe Diana, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:
Diana Hellwig, Schriftstellerin
Zur Person _ Diana Hellwig, Autorin
geboren 1970 in Erfurt. Sie studierte Sprachwissenschaften und Journalistik in Leipzig und Manchester sowie literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Es folgen Arbeiten als Journalistin und Redenschreiberin. Heute lebt sie in Erfurt und Dresden. Ihre ersten Veröffentlichungen mit Kurzprosa erscheinen in der „EDIT“ sowie später in der „oda“, in den „Manuskripten“ und in Anthologien (aktuell: „Risse und Welt“, Axel Dielmann-Verlag, 2023). 2019 kam ihr Erzähldebüt: „Der lächelnde Hund“ in der Edition Muschelkalk, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, heraus. Sie war Merck-Stipendiatin der Stadt Darmstadt im Jahr 2022.
Aktuelles Buch _ Diana Hellwig, Der lächelnde Hund. Erzählungen. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig. 2019

„Ein überaus bemerkenswertes Erzähldebüt ist anzuzeigen – mit dem Band »Der lächelnde Hund« tritt die Verfasserin von Miniaturen, Geschichten und Lyrik mit ihrem ersten geschlossenen Zyklus an die Öffentlichkeit. Kleine und mittlere existentielle Welttheater wie Schattenrisse sind diese begeisternden wie in der Vehemenz anrührenden Erzählungen Diana Hellwigs: kühl und unter Spannung zugleich, auf der Suche nach Antwort.„
104 Seiten | 15 x 22 cm
Klappenbroschur
WGS 2119
ISBN 978-3-86160-562-1
14, 00 EUR (inkl. 7 % MWSt. zzgl. Versand)
https://www.eva-leipzig.de/product_info.php?info=p4709_Der-laechelnde-Hund.html
Fotos_ privat.
Walter Pobaschnig _ 4.1.2024