„Kunst bringt uns anderen näher“ Barbara Novotny, Schauspielerin _ Wien 22.12.2023

Liebe Barbara Novotny, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Im Moment versuche ich, einen neuen Tagesrhythmus zu finden. In den vergangenen Monaten habe ich ein Stück nach dem anderen geprobt und gespielt, zum Teil auch geschrieben; oft war in kürzester Zeit unglaublich viel zu schaffen, sodass mich ständig die Frage begleitet hat, schaffe ich das, geht sich das aus? – was ich mag, ich brauche die Herausforderung.

Bis zu den nächsten Projekten habe ich jetzt eine Pause. Das tut mir gerade gut. Nach einer Phase der Erschöpfung, die ich zum Glück überwunden habe, gibt es viel zu tun: Familie und Freunde treffen, die ich selten gesehen habe, da ich viele Wochen lang nicht in Wien war; liegen gebliebene Büroarbeit erledigen… ich geb’s zu, ich schiebe den Papierkram gerne so weit wie möglich von mir… Ich lese viel, sammle Ideen für neue Projekte und habe begonnen, an neuen Texten zu arbeiten, das ist beglückend, manchmal auch anstrengend, weil es mir noch nicht gelungen ist, eine Struktur in meinen Alltag zu bekommen. Das kommt schon noch. Außerdem gehe ich ins Theater, in Ausstellungen, in Konzerte. Was auf meiner To-do-Wunschliste steht: wieder ins Ballett-Training gehen, das ging sich in den letzten Monaten einfach nicht aus. Das Training fehlt mir sehr, die Leute, die Musik. Oh, und wieder mehr Schach spielen, das würde ich auch gerne und das Anfängerstadium hinter mir lassen.

Barbara Novotny_
 Schauspielerin, Performerin, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich glaube, wir sollten uns mehr an unseren Gemeinsamkeiten orientieren, und uns nicht andauernd in Unterschiede verbeißen – in Trennendes. Wie sollen wir die Aufgaben der Zukunft bewältigen, wenn wir alle den Blick nur bis zu unseren eigenen Zehenspitzen richten? Humor. Gerade in Zeiten wie diesen, wenn man bei all den Scheußlichkeiten den Kopf eigentlich nur noch tief in den Sand stecken möchte. Demut. Rückt so manches in eine angemessenere Dimension. Empathie!

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Kunst hat die große Kraft uns zum Denken zu bringen, neue Denkräume zu eröffnen, uns zu berühren. Etwas Schönes erfüllt uns plötzlich und unerwartet. Das klingt erstmal nach wenig, aber genau das kann Veränderungen bewirken, seien sie nun groß oder klein. Da ist etwas, das uns nie wieder verläßt.

Der große Luxus der Kunst ist oder sollte es sein, dass sie nichts muss, sich für nichts und niemanden zurechtbiegen muss, dass man ihr eben kein Preisschild umhängen kann, auch wenn das versucht wird und wir darauf getrimmt sind, zu glauben, dass nur einen Wert hat, was sich den Massen gut verkaufen lässt, fein säuberlich in Schubladen sortiert und bitte bloß nix durcheinander bringen. Kunst tut uns gut, unsere Seele will schließlich auch gepflegt und genährt werden. Sie verbindet. Bringt uns anderen näher. Rüttelt an unseren Gewohnheiten. Öffnet. Erschließt Möglichkeiten.

Aber ob Kunst in der Welt der Zukunft eine große Rolle spielen wird? Ich neige da zum Pessimismus. Hoffen tue ich trotzdem.

Was liest Du derzeit?

‚Die Schildkröten‘ von Veza Canetti. ‚Hier liegt Bitterkeit begraben‘ von Cynthia Fleury. ‚Niegeschichte‘ von Dietmar Dath.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

‚Nothing is beyond understanding. A hundred more exhibits, and I promise you: you’ll be dreaming in five dimensions.‘

Greg Egan

Vielen Dank für das Interview, liebe Barbara, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspiel-, Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Barbara Novotny, Schauspielerin, Performerin, Schriftstellerin

Zur Person Barbara Novotny, Schauspielerin, Performerin, Schriftstellerin; lebt in Wien.

Barbara Novotny wurde in Wien geboren. Sie absolvierte eine Ballettausbildung an der Ballettschule der Österreichischen Bundestheater und an der Heinz-Bosl-Stiftung in München, bevor sie den Weg zum Schauspiel fand. Auf das Studium am Max-Reinhardt-Seminar folgte ein Engagement and Landestheater Linz, wo sie von 2006 und 2016 zehn Jahre lang Ensemblemitglied war. Sie spielte dort u.a. Marianne in ‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘, Käthchen in ‚Das Käthchen von Heilbronn‘, Portia in ‚Der Kaufmann von Venedig‘, Olivia, in ‚Was ihr wollt‘, Dorine in Tartuffe, Pauline Piperkarcka in ‚Die Ratten‘, aber auch in Stücken von Elfriede Jelinek, Joel Pommerat und Tamsin Oglesby. Immer wieder gab es auch Abstecher in andere Sparten, zum Beispiel als Johanna im Musical ‚Sweeney Todd‘ oder als Friederike in der Kinderoper ‚Die feuerrote Friederike‘. Mit Detlev Glanerts Musiktheater ‚Nijinsky’s Tagebuch‘ kam es zu einer Co-Produktion mit den Bregenzer Festspielen.

Seit 2016 lebt sie als freie Schauspielerin in Wien und hat an verschiedenen Theatern sehr unterschiedliche Stücke gespielt, z.B. die Beatrice in ‚Viel Lärm um Nichts‘ und Antonia in ‚Offene Zweierbeziehung‘ oder Penthesilea in Kleists gleichnamigem Stück im Theater an der Rott. Zuletzt war sie als Erzählerin in Mozarts Oper ‚Zaide‘ bei den donauFESTWOCHEN im Strudengau zu sehen und am Zirkus des Wissens an der Johannes Kepler Universität in Linz in ‚Da oben dazwischen die Sterne‘ von Gerhard Willert und in ‚DSCHUNGEL.CYBERHURT/ Bytes & Pieces‘. Für Letzteres hat sie auch den Großteil der Texte verfasst.

‚Holy Holy Holy‘ hat sie für das Holy Hydra Festival 2020 geschrieben und aufgeführt. Die Kurzgeschichte ‚Zehenbetrachtung‘ ist in der Literaturzeitschrift Podium Literatur zum Thema ‚Lebenslang‘ erschienen.

Foto_ Zoe Goldstein Photographie

Walter Pobaschnig _ 09.12.2023

https://literaturoutdoors.com

Hinterlasse einen Kommentar