„in der Kunst den Mut zum „Irrelevanten“ haben“ Albrecht Selge, Schriftsteller _ Berlin 20.12.2023

Lieber Albrecht Selge, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Nischen in der Mühle des Alltags suchend. Die Familie dreht das Mühlrad, ist dennoch zugleich Lebensgrund. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, übe ich oft erstmal ein bisschen Klavier. Oder ich gehe über die Straße ins Fitnessstudio, damit habe ich in der letzten Weihnachtszeit angefangen, und im Gegensatz zu anderen Männern meines Alters mit guten Vorsätzen bin ich dabei geblieben.

Dabei versuche ich, mein Gehirn immer wieder von neuem einschwingen zu lassen auf das neue Buch, an dem ich gerade schreibe. Wenn es gelingt und ich eingeschwungen bin, vergrößert sich die Nische wundersam. Manchmal nur für ganz kurze Zeit. Aber das reicht mir gerade, ich bin geduldiger und gelassener als früher.

Die Nachmittage verbringe ich meist mit meinem jüngsten Sohn. Abends gehe ich häufig in die Philharmonie, oder meine Frau und ich schauen Filme, aktuell chronologisch durchs Gesamtwerk von Aki Kaurismäki.

Albrecht Selge, Schriftsteller, Musikkritiker

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich glaube an kein „für uns alle“. Von den Lebensgrundlagen abgesehen, aber nicht mal darüber scheinen „wir alle“ uns ja einig werden zu können.

Jeder tickt anders. Für mich, und ich glaube, auch für viele andere, vor allem Jugendliche: Angst-Regulation, ohne die Augen zu verschließen vor Bedrohungen, Krisen, Katastrophen. Und zugleich ohne sich der Angst hinzugeben, sich von der Angst auffressen zu lassen. Oder den Spekulanten zu folgen, die mit der Angst ihr Geschäft treiben.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Stellung beziehen, aber sich nicht in fatale Polarisierungen ziehen lassen. Einen Schritt zurück tun, den Willen zum differenzierten Blick wagen, doch dabei nicht selbstgerecht über den Dingen stehend die Empathie verlieren – eine Gratwanderung.

Und: in der Kunst den Mut zum „Irrelevanten“ haben.

Was liest Du derzeit?

Patrick Modiano, „Damit du dich im Viertel nicht verirrst“

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Stille, dieses unstillbare Verlangen nach Stille“. Das ist der erste Satz meines neuen Romans Silence, der im Februar 2024 erscheint.

Vielen Dank für das Interview, lieber Albrecht, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Buchprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Albrecht Selge, Schriftsteller, Musikkritiker

Zur Person _  Albrecht Selge, geboren 1975 in Heidelberg, studierte Germanistik und Philosophie in Berlin und Wien. Sein begeistert aufgenommenes Debüt «Wach» (2011) wurde für den Alfred-Döblin-Preis nominiert und mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals Hamburg ausgezeichnet. Die folgenden Romane «Die trunkene Fahrt» (2016), «Fliegen» (2019) und «Beethovn» (2020) wurden nicht weniger gelobt. 2022 erschien sein Jugendroman «Luyanta».

Albrecht Selge lebt als freier Autor und Musikkritiker mit seiner Familie in Berlin.   

Albrecht Selge | Rowohlt

Aktuelle Bucherscheinung: „Luyanta. Das Jahr in der Unselben Welt.“ Albrecht Selge.

„Jolantha ist im Bergurlaub von ihrer dauerwandernden Familie ebenso genervt wie diese von ihrer anstrengenden Tochter. Doch wer piepst da eigentlich ständig nach ihr? Äußerst merkwürdige und schwatzhafte Boten! Sie führen das Mädchen in eine faszinierende fremde Gegend, wo sie auf einmal Luyánta heißt und verzweifelt erwartet wird: Denn in der Unselben Welt herrscht Krieg zwischen den Fanesleuten und dem Heer des grausamen Adlerprinzen.

Weit und gefährlich ist die Reise, aber in der so selbstbewussten wie gewitzten Laleh findet Luyánta unerwartet eine treue Gefährtin. Und ihr Doppelwesen als Prinzessin und Weißes Murmeltier macht sie zu einer einzigartigen Kriegerin. So muss sie abenteuerliche Kämpfe mit einem Feind bestehen, der im Bund mit bizarren dämonischen Kräften ist. Zugleich droht ein verhängnisvoller Fluch Luyánta von innen zu verbrennen. Und was hat es mit den verschwundenen unfehlbaren Pfeilen und dem Weißen Schwert auf sich? Kaum zu bewältigen scheint der Weg bis zum entscheidenden Kampf um das Schicksal der Unselben Welt und um zwei höchst gefährdete Seelen: die eines geliebten Menschen und ihre eigene.

Ob man mit Bastian Bux in die «Unendliche Geschichte» eintauchte oder mit Bilbo Beutlin im «Hobbit» aus dem Auenland aufbrach – das Überschreiten der Schwelle zum Erwachsenwerden war schon immer ein Stoff für große Leseerlebnisse. Inspiriert vom Epos um das Fanesvolk der Dolomiten, entführt uns Albrecht Selge mit «Luyánta» in eine phantastische Welt. Die Geschichte eines besonderen Mädchens – und ein außergewöhnliches Abenteuer.“

„Luyanta. Das Jahr in der Unselben Welt.“ Albrecht Selge. Verlag_Rowohlt Berlin

784 Seiten

Rowohlt Berlin

Erscheinungstermin: 08.03.2022

ISBN: 978-3-7371-0134-9

https://www.rowohlt.de/buch/albrecht-selge-luyanta-9783737101349

Foto_privat

Walter Pobaschnig _ 6.12.2023

https://literaturoutdoors.com

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