Liebe Sabine Dengscherz, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Eigentlich ist jeder Tag anders. Wenn es sich ausgeht, lese ich mich ein wenig wach vor dem Aufstehen, und wenn ich keine Termine habe, geht das Lesen nach dem Frühstück oft ins Schreiben über. Wissenschaftliches und literarisches Schreiben konkurrieren da oft miteinander um Fokus und Zeit.
Den Wochen- und Monatsrhythmus gibt vor allem die Universität vor, an der ich unterrichte, die anderen Tätigkeiten ranken sich um diese Fixtermine.
Wochenenden und Freizeit verbringe ich meistens in Dénesfa, einem kleinen Dorf in Westungarn. Ich bin auch viel mit dem Rad unterwegs, lange Strecken durch die Landschaft zu radeln hilft mir beim Nachdenken, oft kommen mir dabei Ideen für Texte, an denen ich arbeite.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Den Planeten für uns und für künftige Generationen als lebenswerten Ort zu erhalten. Das betrifft etliche Aspekte: Umweltfragen, Demokratie und soziale Gerechtigkeit, lokal wie global, und den Umgang miteinander, auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene. Da gibt es viel zu tun. Es braucht Solidarität, Rückgrat, gute Ideen, gute Kommunikation und einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, einfach wird es also nicht.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Kunst hat viel kritisches Potential und inszeniert Erlebenswelten. Das kann Denkanstöße setzen und auch emotional viel bewirken. Literatur kann dabei helfen, sich in andere hineinzuversetzen und damit Empathie erfahrbar machen, ganz prinzipiell und auf lustvolle Weise. Ich denke, die Fähigkeit, sich in andere Kontexte und Situationen hineinversetzen zu können ist sehr wichtig und wahrscheinlich eine Grundlage für Solidarität und kritisches Denken.
Was liest Du derzeit?
Ich lese gerne Verschiedenes nebeneinander, abwechselnd und parallel. Momentan bin ich (nach 30 Jahren) am Wiederlesen von Ingeborg Bachmanns „Malina“, und das Buch kommt mir jetzt ganz anders vor als ich es in Erinnerung hatte. Daneben habe ich grade eine Lyrikphase und lese in Gedichtbänden, u.a. von Petra Ganglbauer, Gisbert Amm, Udo Kawasser, Robert Schindel und Elisa Asenbaum. Und dann kommt Ilse Kilic‘ neues Buch dran: „Das Schlaue vom Himmel“, es liegt schon ganz oben auf dem Stapel.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Wir alle sind diese Gesellschaft. Es gibt unser Zusammenleben nicht ohne uns alle, deshalb müssen wir alle immer weiter vielstimmig und emphathisch sprechen, streiten, uns versöhnen – und feiern!“ (Mithu Sanyal, Nachwort zu ihrem Roman „Identitti“).
Vielen Dank für das Interview, liebe Sabine, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler:innen:
Sabine Dengscherz, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin
Zur Person _ Sabine Dengscherz, geb. Selzer, *1973 in Grieskirchen (OÖ), Schriftstellerin (Lyrik und Prosa), Wissenschaftlerin und Journalistin. Studium der Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Hungarologie an der Universität Wien. Doktorat 2005, Habilitation 2019 am Zentrum für Translationswissenschaft. Unterricht an Universitäten in Ungarn, Russland, Österreich, Deutschland und Indonesien.
Seit 2016 Mitglied der GAV. Literarische Publikationen in Zeitschriften und Anthologien (v.a. im Fröhlichen Wohnzimmer). Lebt in Wien und Dénesfa.
Foto_ privat
Walter Pobaschnig _ 2.12.2023