
Astrid Kohlmeier, Schriftstellerin_Graz_
Roman „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien _
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin
(25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)









Astrid Kohlmeier, Schriftstellerin_Graz_
Roman „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien _
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin
(25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.
Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.
Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.
Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.
Liebe Astrid Kohlmeier, wir sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien. Sind Dir die Orte hier vertraut?
Ich lebe in Graz und bin leider viel zu selten in Wien, weshalb mir die Stadt grundsätzlich zu wenig vertraut ist. Bei unserer ersten Begegnung in der Ungargasse waren mir auch die Schauplätze des Romans „Malina“ noch völlig fremd. Inzwischen habe ich Bachmanns „Ungargassenland“ auch lesend bereist und entdeckt – dies war eine außergewöhnliche Reise.

Welche Bezüge und Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und dem Roman Malina?
Ich bin mit Ingeborg Bachmann im Rahmen meines Germanistik-Studiums in Berührung gekommen – leider wurde ihre Arbeit jedoch nicht ausführlich besprochen – ihre Lyrik, der Roman „Malina“ und das Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ blieben vielmehr Randnotizen. Einige Gedichte der Autorin sind mir natürlich vertraut, jedoch längst nicht ihr gesamtes lyrisches Werk. Vor Jahren habe ich „Herzzeit“, den Briefwechsel der Schriftstellerin mit Paul Celan, gelesen und erst gestern habe ich mir den Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ von Margarethe von Trotta im Kino angesehen. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, mich in nächster Zeit eingehender mit Bachmanns Werken zu beschäftigen und mein Versäumnis nachzuholen.
Welche Eindrücke hast Du von den Schauplätzen in der Ungargasse, die wir besucht haben?
Wir haben die Ungargasse an einem wunderbaren Herbstmorgen besucht. Es hat eine bezaubernde und zugleich geheimnisvolle Stille über diesen Orten gelegen und obwohl ich „Malina“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelesen hatte, war es doch ein erhebendes Gefühl, zu wissen, dass ich mich gerade an den Romanschauplätzen einer großen Schriftstellerin aufhalte. Etwas unfassbar Zartes und Melancholisches hat in der Luft gehangen und ich war mir bewusst, dass ich gerade die Grenze von Realität und Fiktion übertrete. Dass Bachmann selbst Jahre zuvor unzählige Male die Ungargasse hinauf- und hinuntergelaufen sein muss, sich in den Häusern, die wir aufgesucht haben, aufgehalten hat und vielleicht vom Innenhof zu denselben Fenstern hinaufgeblickt hat, zu denen ich an diesem Tag hinaufgeblickt habe, hat in mir beinahe den Eindruck geweckt, in der Zeit zu reisen.

Wie siehst Du den Aufbau und das Konzept des Romans?
Die Dreiteilung des Romans in „Glücklich mit Ivan“, „Der dritte Mann“ und „Von letzten Dingen“ eröffnet dem Leser von Kapitel zu Kapitel neue Perspektiven auf das innere und äußere Erleben der Ich-Erzählerin, womit Bachmann eine unglaubliche Tiefgründigkeit und Komplexität des Erzählten erreicht. Der Roman vereint erzählende und dialogische Passagen, Versatzstücke von Telefonaten, Traumsequenzen und Briefe in sich, woraus sich eine sehr kunstvolle Komposition ergibt. Zusammengehalten und getragen wird „Malina“ von der unglaublichen Intensität und Strahlkraft von Bachmanns Sprache, in der die Stimme der Lyrikerin laut wird. Besonders die schonungslose Ehrlichkeit in der Beschreibung der Gedanken und Emotionen der Ich-Erzählerin haben mich nicht unberührt gelassen.




Was sind für Dich zentrale Themen und Aussagen des Romans?
Ich denke, dass „Malina“ ein Buch über die Sehnsucht nach der vollkommenen, allumfassenden Liebe ist, die jedoch nie gestillt wird. Es ist ein Text über das sich Suchen, sich Finden und sich Verlieren in einem Gegenüber, über die heilende, aber auch vernichtende Kraft, die sich aus einer innigen Zweierbeziehung entwickeln kann. Es ist ein Roman über Glückseligkeit, Rettung, Schmerz, Verlust und Einsamkeit – über drei Arten von aussichtsloser Liebe zwischen Mann und Frau, die am Ende zum völligen Erlöschen der liebenden Person, ja zu deren gewaltsamen Tod führt.



Wie ist die Beziehung zwischen Mann und Frau im Roman dargestellt und wie ist dies heute zu sehen?
Die Beziehung zwischen Mann und Frau wird in „Malina“ anfänglich irrtümlich als sinnstiftend und glücksbringend, dann jedoch zusehends als gleichgültig, von Nicht-Verstehen geprägt – über Malina etwa äußert die Erzählerin „Wir werden einander nie verstehen, wir sind wie Tag und Nacht […]“ – distanziert, gewaltsam und schlussendlich als vernichtend geschildert. Im Kapitel „Der dritte Mann“ wird die Gewalt in albtraumhaften Szenen bis ins Unerträgliche gesteigert. Die Ich-Erzählerin wird in ihren Träumen von ihrem Vater – der sinnbildlich auch für die männerdominierten Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges steht – wiederholt geschändet und auf unterschiedlichste Art und Weise von ihm ermordet. Am Ende ist es die Frau, die durch die Beziehung zu einem Mann in eine „unhaltbare Situation“ getrieben wird, unter ihr leidet und an ihr zerbricht, durch diese ausgelöscht wird. Die Ich-Erzählerin ist von der Sehnsucht nach einer vollkommenen Liebe getrieben und gibt sich schließlich selbst dafür auf. Ihre Liebe wird nicht in dem Maße erwidert, wie sie es sich erhofft und ein solches Ungleichgewicht ist zu jeder Zeit und natürlich auch heute denkbar. Die hohe Anzahl an jährlich verübten Femiziden zeigt auch, dass Frauen nicht nur im übertragenen Sinn an einer Liebesbeziehung zu Grunde gehen, sondern dass reale Morde an Frauen tragische Realität sind. Dennoch sollte man den Gedanken nicht außer Acht lassen, dass sich die Vorzeichen auch umkehren ließen – dass also auch ein liebender Mann in eine solch hoffnungslose Situation geraten könnte.



Wie beurteilst Du die Protagonisten Ivan, Malina, Ich-Person in ihrem literarischen Kontext bzw. dem Kontext der Autorin und ihrer Biographie?
Auch wenn Ingeborg Bachmann selbst ihren Roman als „geistige, imaginäre Autobiographie“ bezeichnet hat und es durchaus erhellend sein kann, derartige Querbezüge herzustellen, möchte ich den Text ungern in diesem Kontext beurteilen, da ich der Auffassung bin, dass ein literarisches Werk unabhängig von der Biographie seines Urhebers bewertet werden sollte.

Wie siehst Du das literarische Konzept des dreistufigen Aufbaus des Romans?
Siehe Antwort oben
Welches Frauen- und Männerbild spricht Ingeborg Bachmann in „Malina“ an und wie aktuell ist dies heute?
In „Malina“ unterliegt eine intellektuelle, erfolgreiche Frau dominanten Männern – Ivan, dem Vater, Malina, denen sie sich unterwirft und in deren Abhängigkeit sie sich begibt. Sie ist „Malinas Geschöpf“ und auch finanziell von ihm abhängig, da er sie „beide durch die teuren Zeiten bringt“. Sie ist weiters abhängig von Ivans Zeit, seiner Aufmerksamkeit und Zuneigung, denn „er soll [sie] erlösen“. Über ihn sagt sie etwa: „Er ist mein Leben, meine einzige Freude“ und „[…] ich möchte, daß Ivan mich braucht, wie ich ihn brauche, und für das ganze Leben.“ Während die Ich-Erzählerin bereit ist, für ihre Liebe zu Ivan alles zu tun und zu opfern, wirkt dieser emotional kalt und unbeteiligt. So wartet sie ständig auf Ivans Anrufe und will für ihn ein Buch schreiben, ohne zu verlangen, dass er es jemals liest. Die Schriftstellerin versucht sich sogar als Hausfrau, beginnt aufwendigst für ihren heimlichen Geliebten zu kochen, weil er „genug habe von diesen belegten Broten und [einmal] wissen möchte, was [sie] zu kochen verstünde“. Sie hütet obendrein noch seine Kinder, wenn er gerade verhindert ist. Gleichzeitig lässt sie sich von ihm demütigen und beschimpfen: „Durch Ivan, der das Spiel will, habe ich deswegen auch eine Gruppe von Schimpfsätzen kennengelernt. Über den ersten Schimpfsatz bin ich noch sehr erschrocken, aber nun bin ich fast süchtig geworden und warte auf die Schimpfsätze, weil es ein gutes Zeichen ist, wenn Ivan zu schimpfen beginnt. Ein kleines Aas bist du, ja du, was sonst? […] Ich rede mit dir, wie ich will / Ein kleines Luder bist du […] Du bist zu dumm, du verstehst eben nichts. […] Manchmal siehst du richtig alt aus […] Graue und braune Kleider machen dich alt / Verschenk deine Trauerkleider ans Rote Kreuz / Wer hat dir diese Grabkleider erlaubt? Natürlich bin ich böse, ich habe Lust, böse zu sein.“ Am Ende wird der Ich-Erzählerin schmerzlich bewusst: „Ich habe in Ivan gelebt und ich sterbe in Malina.“ Sowohl ihr Leben als auch ihr Sterben sind von ihren beiden Männern bestimmt, ihre Albträume von einer gewalttätigen Vaterfigur, die, wie mir scheint, das Patriarchat als solches verkörpert.
Trotz der fortschreitenden Emanzipation bin ich der Auffassung, dass wir weiterhin in einer von Männern dominierten Welt leben, dass es auch heute noch unzählige Frauen gibt, die ihr eigenes Leben wie die Ich-Erzählerin dem eines Mannes – sei es nun der Vater, der Partner oder ein Vorgesetzter – unterordnen und daran zerbrechen. Ich denke, es wird noch sehr lange dauern, bis sich die herrschenden Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern wandeln und ein gleichberechtigtes Miteinander Realität werden kann.

Welchen Einfluss hatte und hat der Roman auf die Entwicklung von Literatur, Kunst und Emanzipation und Gesellschaft?
Diese Frage muss ich leider unbeantwortet lassen.
Wie siehst Du das Ende des Romans?
Das Ende ist tragisch, jedoch unausweichlich.

Gab es in Deinen Literatur-, Kunstprojekten Berührungspunkte zu Ingeborg Bachmann?
In meinen Gedichten und Prosatexten erforsche ich immer wieder zwischenmenschliche Beziehungen, so auch jene zwischen Mann und Frau. Das Motiv der weiblichen Sehnsucht nach einer vollkommenen Liebe, das Sich-Verlieren in einem Gegenüber, die Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind, spielen auch in meinen Texten eine Rolle.
Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?
Soeben ist mein Gedichtband „Zärtliche Risse“ im Wolf Verlag erschienen, derzeit arbeite ich bereits an meinem dritten Lyrikband und an einigen Erzählungen, die gesammelt in einem Band erscheinen sollen. Ich spiele gerade auch wieder mit dem Gedanken, einen Literaturklassiker für die Bühne zu bearbeiten.

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?
Sehr gerne hätte ich mit Ingeborg Bachmann einen Tag in Wien verbracht. Vielleicht hätte ich mit ihr gemeinsam einen Spaziergang unternommen und mich mit ihr bei ein paar Gläsern Wein und einigen Zigaretten über ihr Leben, ihr Schreiben und die Liebe unterhalten.



Astrid Kohlmeier, Schriftstellerin_Graz_
Roman „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien _
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin
(25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.
Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.
Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.
Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.
Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971
im Interview und szenischem Fotoportrait_acting Malina:
Astrid Kohlmeier, Schriftstellerin_Graz_ _Wien_
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien _
Aktuelles Buch _ Astrid Kohlmeier, Zärtliche Risse. Gedichte. Wolfsberg: der wolf verlag 2023. 112 Seiten. ISBN 978-3-903354-47-0.

Kohlmeier, Astrid _ Zärtliche Risse
Lyrik
13 x 21 cm, 112 Seiten, Pappband, Fadenheftung
ISBN 978-3-903354-47-0
€ 24,-
https://www.raggernot.net/start/verlagsprogramm-2023/
https://www.astridkohlmeier.com/

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Interview und alle Fotos_Romanschauplatz _ Malina_Wien _ Walter Pobaschnig 10/23
Walter Pobaschnig