
Station bei Ingeborg Bachmann_Wien


Elke Steiner
Ungargasse. Chats.
In einem Moment heißt es wir, im anderen: Ich. Meistens erfinde ich etwas. Niemand kann sich an die Erscheinung meiner Leibhaftigkeit halten, nachmittags im Besonderen, wenn ich müde von meiner Suche die Gasse stadtauswärts schleiche, dann bin ich nahezu am Verschwinden. Dann denke ich, dass ich auch mich gänzlich erfunden haben könnte. Mich und meine Gasse, meine Zigarette und meinen account. Ein shitstorm hat mich erfasst. Eine unglaubliche Anstrengung, dieser Beschuss, diese Flammen und dann noch die Freischärler von Antworten, die ich selbst in die Kommentare getippt habe.

Aber damit ist Schluss und ich halte mich an das einzige Wort, das übriggeblieben ist, von meiner Suche nach Worten. Ich habe mich auch mit Malina über die Wörter hergemacht, aber wir fanden nur zerknülltes Papier und einige Todesarten.

Ich bin am Heimweg und alles kündigt mir schon mein Haus an, und alles was mir an Aufregung noch bleibt, ist der Gedanke an mein betörendes Wort. Es mäßigt mich innerlich, doch äußerlich treibt es mich an, treibt meine Schritte über das Trottoir, so dass ich zweisilbig auftrete mit meinen Füßen, dem Himmel sei Dank zweisilbig, was für meinen gleichgestimmten aufrechten Gang ein unendliches Glück bedeutet, ich müsste sonst möglicherweise enorme physiologische Anstrengungen unternehmen, um meinen Gang einer Mehrsilbigkeit anzupassen.

Ich muss auch gegen Frau Breitner anschreiten, von weitem schon sehe ich, wie sie sich aus dem offenen Fenster lehnt, mir entgegen, und ich sehe, dass sich hinter der Breitner, in ihrem Kabinett, eine Menschenmasse drängt. Ein gestikulierender anschwellender Mob, so dass der Busen der Breitner immer mehr aus dem Fenster quillt und die Breitner von der crowd hinter ihr regelrecht erdrückt wird, sie aber trotzdem, dümmlich grinsend, mich anblickt, während ich mit der rechten Hand das Haustor aufschließe und mich mit der linken an das einzige Wort halte, das übriggeblieben ist.

Und wie könnte das Wort, das jetzt schon für später steht, anders heißen als Diwan.
Es heißt Diwan und immer wieder Diwan.

Was mich noch aufrecht erhält, ist nur der Gedanke an mein Lotterbett, die Stätte meines lasterhaften Treibens, und was es an Aufregung noch gibt, wird gänzlich in seinen Ritzen verschwinden.
Diwan. Wenn er auch gewiss nicht für mich erschaffen wurde, so besitze ich ihn, sitze auf ihm und rauche.

Was bleibt, ist unser gemeinsames Schweigen. Er absorbiert alle Wörter und Stürme, die chats und die Stimmen der crowd. Wir schweigen, weil nichts zu sagen ist.
Wir schweigen gegen die Verderbnis und um das Land wieder fasslich zu machen.

Das eilige Heimgehen, das Sitzen und Rauchen, und jetzt das langsame Hinlegen, einzig, um es dann zu vollziehen: Ich pflanze mich fort mit dem Schweigen. Die letzten Wörter gleiten mir still von der Zunge, verbrennen auf meinen Lippen, aus unserer Vereinigung entsteht ein neues Geschlecht, eine Sprache aus Haut und Haar, aus drei Eiswürfeln.

Die Breitner wird sagen, es war Mord

Elke Steiner, Schriftstellerin_Wien_ acting Malina _
Roman „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien _
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin
(25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971
Text _ Elke Steiner
Elke Steiner, Schriftstellerin_Wien
Roman „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien _
Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.
Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.
Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.
Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.
2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)_
Interview und alle Fotos _ Walter Pobaschnig
Walter Pobaschnig