Lieber Ivan Strelkin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Im Moment bin ich in der Endphase der Proben für mein neues Stück „Der verlorene Geburtstag“, also verbringe ich jeden Tag vier Stunden mit meinen Schauspielerinnen, und der Rest des Lebens dreht sich darum. Wenn ich aufwache, versuche ich, so schnell wie möglich die Wohnung zu verlassen, trinke einen großen Brauner bei Anker und bereite mich auf die Probe vor. Wenn die Probe endet, verschicke ich die Einladungen für die Premiere. Dann schlafe ich ein.


Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich weiß nicht, was für uns alle wichtig ist. Ich versuche, sehr vorsichtig mit dem Pronomen „wir“ zu sein. Nicht, dass ich es nicht zu schätzen wüsste, ein Teil der Gesellschaft (oder der Menschheit) zu sein, aber ich versuche einfach zu vermeiden, für andere Menschen und im Namen anderer Menschen zu sprechen. Ich ziehe es vor zu sagen, was für mich wichtig ist. Für mich ist es sehr wichtig, in der Realität präsent zu sein. Sensibel und einfühlsam zu bleiben. Die Realität in meiner künstlerischen Arbeit zu reflektieren.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Tanz/Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ich bin ein Pazifist. Für mich ist Gewalt nicht zu rechtfertigen. Das Theater, wie ich es verstehe, ist der Raum, in dem Gewalt unmöglich ist. Kunst im Allgemeinen ist der Bereich, in dem Gewalt nicht vorkommen kann. Das ist für mich die Rolle des Theaters – unterdrückte Emotionen freizusetzen und Traumata auf gewaltfreie Weise zu überwinden.
Produktionen/Auswahl: Ivan Strelkin



Was liest Du derzeit?
Ich habe gerade „36 Stunden“ von Horvath gelesen. Ich lebe seit 4 Jahren in Österreich und kenne mich mit klassischer österreichischer Literatur nicht besonders gut aus, deshalb habe ich vor kurzem beschlossen, mich weiterzubilden.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Kleines Zitat aus „Der verlorene Geburtstag“: „Einsamkeit ist wie eine Droge – je einsamer man ist, desto einsamer will man sein“. Kommen Sie, um mein neues Stück zu sehen: 2,3,4. November, Pygmalion Theater, Alserstrasse 43 in Wien!
Vielen Dank für das Interview, lieber Ivan, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Ivan Strelkin, Regisseur, Schauspieler
Zur Person _ Ivan Strelkin wurde 1988 in Sankt Petersburg (Russland) geboren. Er studierte Schauspiel und Regie an der Staatlichen Theaterakademie seiner Heimatstadt. 2013 hat er Russland verlassen, um in Estland als Regisseur zu arbeiten. 2016-2019 studierte er Choreographie an der Folkwang Universität in Deutschland und arbeitete als Regisseur und Choreograf in Deutschland, Österreich, Italien, Luxemburg, Polen, Kroatien. Zwischen 2019 und 2021 studierte er an der Anton Bruckner Privatuniversität, MA „Bewegungsforschung“. 2020 gründete er zusammen mit Kasija Vrbanac Strelkin das Kunstkollektiv „Flirty Horse“; 2021-22 unterrichtete an der ABPU und Kunstuni Linz. 2021 zog er mit Kasija und „Flirty Horse“ nach Wien.
Aktuelle Produktion: „Der verlorene Geburtstag“ _

Premiere: 2.11.2023
Pygmalion Theater, Alserstraße 43, 1090 Wien _
weitere Termine: 3,4. November,
Foto_privat
Walter Pobaschnig _ 23.10.2023