„Die Unvernunft aufhalten“ Tanja Langer, Schriftstellerin und Verlegerin  _ Berlin 19.10.2023

Liebe Tanja Langer, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Er wird strukturiert vom Rhythmus der Versorgung meines Lebensgefährten, der schwer an ALS erkrankt ist; dh morgens Frühstück, Medikamentengabe, mittags, abends genauso, wichtig: Gespräch (das braucht Zeit, weil sein Sprechen eingeschränkt ist). Zwischen den Mahlzeiten Organisatorisches, Nachrichten im Radio, Einkaufen, Behörden, medizinische Bürokratie. Sein Mittagsschlaf unter der Maske: in dieser Zeit bisschen Verlagsarbeit, laufende Dinge, manchmal eine Stunde lesen und nachdenken (eher nachts), selten schreiben, nachmittags mal mit ihm spazieren „fahren“ (Rollstuhl) oder ihm bei seinen Arbeiten helfen (tippen, verstehen, etc.). Ganz anders denken. Manchmal sticke ich.

Tanja Langer, Schriftstellerin und Verlegerin 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Frieden. Die Unvernunft aufhalten.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

(Die Frage klingt ein bisschen wie kurz nach Corona) Wir erleben ununterbrochen Zäsuren, immer neu entflammende Kriege, es ist viel Leid, Mitleid, Grund für Trauer in der Welt, die Trauer ist extrem wichtig, um für die Zukunft Konsequenzen ziehen zu können. Ich denke, Kunst und Literatur können helfen, sich damit auseinanderzusetzen, sich in „Ambivalentem“ einzuüben, differenzierter wahrzunehmen. Wir brauchen Geduld und Liebe.

Was liest Du derzeit?

Dylan Thomas, Wallace Stevens, Edith Sitwell, ich versuche mal den neuen Ken Follet wegen der Weberei, und von Maike Wetzel „Schwebende Brücken“.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Von Rosa Luxemburg:  „Sieh, dass du Mensch bleibst. Mensch sein ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.“

Vielen Dank für das Interview, liebe Tanja, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Buchprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Tanja Langer, Schriftstellerin und Verlegerin 

Zur Person _Tanja Langer, geboren 1962 in Wiesbaden, lebt seit 1986 in Berlin. Sie veröffentlichte Erzählungen, Hörspiele und Romane wie Der Tag ist hell, ich schreibe dirDer Maler MunchKleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte und den Afghanistanroman Der Himmel ist ein Taschenspieler (mit D. Majed). Als Textdichterin für Neue Musik verfasste sie das Libretto für die Oper Kleist (UA 2008) und den Liederzyklus Künstlerinnen / Fürchterlich ist die Braut am Abend von Rainer Rubbert, die Oper Ovartaci – crazy, queer & loveable für 12 Komponist*innen (2017/8 Staatsoper Unter den Linden, Berlin) u.a.. 2019 eröffnete sie ihr Projekt zum Erinnern und Vergessen mit dem Roman Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday oder die Erfindung der Erinnerung. 2016 gründete sie den polyphonen Bübül Verlag Berlin.

Langer gilt als »… eine aufregende und avancierte Autorin mit Gespür für politisch-gesellschaftliche Umbrüche, die sie immer auch aus privater Sicht zu spiegeln weiß.«  Volker Heigenmooser, literaturkritik.de

http://www.tanjalanger.de

Tanja Langer _ BÜBÜL VERLAG BERLIN

https://tanjalanger.de/buebuel/

Foto_Michele Corleone

Walter Pobaschnig _ 14.10.2023

https://literaturoutdoors.com

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