Station bei Malina_ „Bachmann war von der Rücksichtslosigkeit und Gewalt in der Gesellschaft erschüttert“ Anna-Elisabeth Mayer, Schriftstellerin _Wien 1.10.2023

Station bei Malina_
Anna-Elisabeth Mayer, Schriftstellerin_Wienacting Malina _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin
(25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Station bei Malina_
Anna-Elisabeth Mayer, Schriftstellerin_Wienacting Malina _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin
(25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Liebe Anna-Elisabeth Mayer, wir sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien. Sind Dir die Orte hier vertraut?

Wie sind einem Orte vertraut, die im Kopf eine Rolle spielen? Ich habe Malina, lange bevor ich nach Wien kam, das erste Mal gelesen. Als ich dann schließlich die Ungargasse aufsuchte, war der Ort seltsam bekannt und doch neu.

Welche Bezüge und Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und dem Roman Malina?

Bachmann war von der Herrschaft, die Menschen ausüben können, ihrer Rücksichtslosigkeit und Gewalt, erschüttert. Sie hatte ein Gespür für das Strukturelle daran, einen Blick für die gesellschaftliche Ordnung. Das ist einer der Zugänge; der andere ich natürlich über die einzigartige Sprache Bachmanns.

Welche Eindrücke hast Du von den Schauplätzen in der Ungargasse, die wir besucht haben?

Die Säulen und der Marmor – will man sie stürzen? Wird man dabei erschlagen? Das Glatte und Raue, so nahe beieinander. Natürlich die Treppen: Was für ein Gefühl beim Hinaufgehen! Und beide gleich, aber in zwei verschiedene Richtungen führend. Der Hof mit dem Brunnen, das Wasser versiegt. Das Ranken und Wachsen – ein Hinweis auf das, was darunter liegt.

Wie siehst Du den Aufbau und das Konzept des Romans?

Es ist ein sehr komplexer Aufbau, der in viele verschiedene Richtungen verweist und Komponenten der Musik mit denen des Theaters in der Literatur verbindet; damit die Grenzen dazwischen verwischt. Außerdem wird „Handlung“ radikal anders gedacht.

Was sind für Dich zentrale Themen und Aussagen des Romans?

Die Abhängigkeit, das Aufbegehren in Form von Fieber (der gepeinigte Körper zeigt sich und versucht den Feind zu verbrennen), das Suchen nach einem Heilmittel, der Glaube an die Liebe, das zwangsläufige Scheitern eines solchen, die Zerrüttung, schließlich Zerstörung eines (weiblichen) Subjekts.

Wie ist die Beziehung zwischen Mann und Frau im Roman dargestellt und wie ist dies heute zu sehen?

Die Beziehung ist eine erschreckend ungleiche, eine von Unfreiheit, Unterdrückung und Gewalt gekennzeichnete. Gerade wenn man die Femizid-Rate in Österreich betrachtet, lässt sich feststellen, dass diese Kennzeichen (neben emanzipatorischen Errungenschaften) auch heute häufig Bestandteil von Beziehungen zwischen Mann und Frau sind.

Wie beurteilst Du die Protagonisten Ivan, Malina, Ich-Person in Ihrem literarischen Kontext bzw. dem Kontext der Autorin und Ihrer Biographie?

Bachmann selbst hat sich gegen autobiographische Lesarten verwehrt. Auch wenn das Reale in der Fiktion oft Spuren hinterlässt, würde sie das Gewicht auf Letztere legen. Die ProtagonistInnen würde ich daher als Kommentar zur österreichischen Nachkriegsgesellschaft lesen, geprägt von einer Elterngeneration, die gerade noch die Schuhe des Nationalsozialismus poliert hat. Im Fokus stehen dabei die Bedingungen des Aufwachsens als Frau in dieser – ebenso internalisierte Stereotype von Weiblichkeit (und Männlichkeit).

Wie siehst Du das literarische Konzept des dreistufigen Aufbaus des Romans?

Sehr interessant, dieser ans Drama angelegte Aufbau in drei Akte. Das erste Kapitel „Glücklich mit Ivan“ mündet in das zweite „Der dritte Mann“, in dem neben Malinas kühler Zugewandtheit alptraumhafte Traumsequenzen, geprägt von Todesangst und Todesarten, dominieren. Abgelöst wird dieses vom letzten, dem „Mord-Kapitel“: einer Auflösung einer Person bzw. eines Teils einer Person, so wie der Roman sich selbst in seiner Struktur permanent auflöst. 

Welches Frauen- und Männerbild spricht Ingeborg Bachmann in Malina an und wie aktuell ist dies heute?

Die Abhängigkeit der Ich-Erzählerin, schon als Kind vom grausamen Vater, später sowohl von ihrem Ehemann Malina als auch ihrem Liebhaber Ivan, den sie geradezu anbetet und auf den sie ständig wartet, ja, für den sie sich aufopfern würde (z.B. für seine Kinder) – mit dem Ergebnis, dass ihr am Schluss eine Abfuhr erteilt wird –, alles eine lange Zeit und nach wie vor Frauenbiografien bestimmende Elemente.

Gleichzeitig ist der Roman auch als Hadern einer Figur mit ihren mehreren „Identitäten“ zu lesen – Malina wird als rationaler, stereotyp männlicher Teil gedeutet, der gegen das Irrationale, stereotyp Weibliche kämpft. Auch in diesem Identitätskampf – mit Anpassung an die herrschende Norm – ist der Roman äußerst modern.

Welchen Einfluss hatte und hat der Roman auf die Entwicklung von Literatur, Kunst und Emanzipation und Gesellschaft?

Bachmann selbst wollte den Roman lieber „Buch“ nennen – darin ist bereits die aufsprengende Geste zu erkennen. Sie will sich als Schriftstellerin nicht in etwas Eindeutiges zwängen lassen, will nicht Erwartungen entsprechen, will auf- und ausbrechen: das ist der emanzipatorische Gedanke schlechthin, und in seiner Kraft unübersehbar. Gleichzeitig ist der Roman eine Auseinandersetzung mit Gesellschaft und der ihr innewohnenden Gewalt, von der Frauen systematisch betroffen sind. Darin ist der Roman wegweisend.  

Wie siehst Du das Ende des Romans?

„Es war Mord“ – das Verschwinden, Untergehen, Zermalmt-Werden, eindrücklich im Roman beschrieben und auf das Ende, das nur dieses eine sein kann, konsequent zusteuernd.

Gab es in Deinen Literatur-, Kunstprojekten Berührungspunkte zu Ingeborg Bachmann?

Leseerfahrungen wirken nach – oft auf ganz eigene Weise. Die frühe Lektüre von Bachmanns Gedichten und Prosastücken haben auch in mir etwas zum Schwingen, Gedanken zum Drehen gebracht: ein Karussell, ein Schwindel.

Du bist wie Ingeborg Bachmann als Schriftstellerin nach Wien gezogen. Was bedeutet Dir Wien und welche Erfahrungen hast Du hier als Künstlerin gemacht?

Wien ist eine Stadt, die einen nicht umarmt, aber in der man sich trotzdem aufgehoben fühlen kann. Sie ist außerdem groß genug, um sich zu verstecken. Wer sich nicht zeigt, ist allerdings nicht sichtbar – das wird „Künstlern“ eingeschärft. Man muss nicht alles ernst nehmen.

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

Das Angehen eines neuen Romans (herrlich!).

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?

Die Frage ist vielleicht eher: Hätte Ingeborg Bachmann mit mir gerne einen Tag in Wien verbracht? Ich würde den Tag mit ihr auf alle Fälle gehend verbringen, das Kopfpflaster der Innenstadt bald hinter uns lassend hinauf in die Weinberge, den Blick beim Blatt.

Darf ich Dich abschließend zu einem Malina Akrostichon bitten?

Mund

Aufgerissen

Lindert

In der

Nacht nichts

Am Anfang Apfelgehäuse und Strudel

Station bei Malina_
Anna-Elisabeth Mayer, Schriftstellerin_Wienacting Malina _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin
(25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971

im Interview und szenischem Fotoportrait_acting Malina:

Anna-Elisabeth Mayer, Schriftstellerin_Wien
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)_

Interview und alle Fotos _ Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig

https://literaturoutdoors.com 9/23

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