Liebe Jacqueline Forster-Zigerli, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Gleich nach dem Aufstehen den Traum aufschreiben, in die Stille gehen, Taiji üben, frühstücken und…..in irgendeiner Art und Weise schreiben. Es ist Beruf, Berufung, Bedürfnis. Seit mein Anspruch an mein literarisches Schreiben grösser geworden ist, hat sich das Verhältnis etwas verkompliziert. Manchmal gelingt mir wochenlang kein poetischer Text, und je mehr ich das möchte, umso weniger funktioniert es. Das Schreiben ist ein eigenwilliges Wesen. Ich muss lernen, es zu verstehen, ihm zu vertrauen – dass es von alleine zu mir zurückkommt. Das ist zum Glück immer wieder der Fall.
Dann koche ich ein gutes Mittagessen für meinen Mann und mich oder esse mit meinen Kolleginnen im Büro.
Und Muße ist wichtig, viel Muße. Ich versuche, meine Agenda nicht zu überfüllen. Poesie, die ich als Lebensweise verstehe und die über den eigentlichen Akt des Schreibens hinausgeht, braucht Raum, Stille, Langsamkeit.
Am Abend: lesen!
Vor dem Einschlafen bete ich ganz altmodisch zu Gott. Das hat sich bewährt.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Stille. Lauschen. Muße.
Die Mitte pflegen, die Nuancen wahrnehmen, das Dazwischen.
Die eigenen Schatten kennenlernen und annehmen. Sich kritisch reflektieren.
Dankbarkeit, Mitgefühl, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Freude leben.
In ALLEN Menschen das Licht sehen, so schwer dies auch fallen mag.
Zuhören. Richtig zuhören, ohne schon an die eigene Antwort zu denken. Mit dem Herzen zuhören.
Lieben. Lieben! Mutter Erde und alle Wesen, alle. Was wir lieben, zerstören wir nicht.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Zum ersten Teil der Frage: s. oben.
Zum zweiten Teil: Kunst – in meinem Falle das Schreiben – ist für mich ein Weg, die Welt zu ergründen, den grösseren Zusammenhängen auf die Spur zu kommen, der Verbundenheit von allen und allem. Wenn mir das schreibend gelingt oder ich es in einem anderen Kunstwerk wahrnehme, bin ich glücklich. Dann ist ein ganz bestimmter Punkt in mir getroffen, der leise jubelt. Berühren, das soll die Kunst und deshalb ist es so wichtig, der künstlerischen Arbeit ihre Freiheit zu lassen.
Was liest Du derzeit?
«Die Vögel» von Tarjei Vesaas, Lyrik von Ruth Loosli, Frída Ìsberg, Mathias Jeschke, Gundula Schiffer. Dazu als ständige Begleiter: die Texte von Irina Tweedie, entweder «Der Weg durchs Feuer» oder die Abschriften ihrer Vorträge, zusammengefasst unter dem Titel «The empty bell».
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
«To see without love is only to peer in the darkness.” (Irina Tweedie)
Vielen Dank für das Interview, liebe Jacqueline, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:
Jacqueline Forster-Zigerli, Schriftstellerin
Zur Person _ Jacqueline Forster-Zigerli, geboren 1967 in St. Gallen, Schweiz. Lebt am Genfersee. Jahrelange Tätigkeit als Journalistin und in der Öffentlichkeitsarbeit in der Deutsch- und Westschweiz. Schreibt Lyrik und Kurzprosa und wirkt seit 2018 an diversen literarischen Projekten mit, auch in Verbindung mit Musik, Malerei, Keramik.
Foto_privat
Walter Pobaschnig _ 25.9.2023