Liebe Maria Wargin, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Wenn ich hinfalle, stehe ich wieder auf.
Wenn ich keine Kraft habe, dann suche ich sie und baue sie auf: mit Ruhe, mit freiem Raum, mit freier Zeit.
Wenn kein freier Raum und keine freie Zeit sind: Dann ist Zeit, sie frei zu machen.

Wenn ich etwas weiß und etwas verstehe, etwas sehe und höre, dann gebe ich es weiter: Es kann sich entwickeln und – besser werden.
Eigene Grenzen kennen, Andere und das Leben schätzen.
Zu kommunizieren und und zu tun.
Immer wieder derselbe Anfang.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Wer: Wir als freie Gesellschaft und Gemeinschaft.
Es ist wichtig, dass wir als Mitglieder dieser Gesellschaft unsere öffentliche und mediale Kommunikation und Information auf Menschenrechten gründen: argumentenbasiert und inklusiv. Dann müssen wir öffentlich zum Beispiel mit aller Deutlichkeit sagen und auch rechtlich entsprechende Maßnahmen durchsetzen:
Es ist falsch, dass es keinen Holocaust gegeben hat. Die Menschenrechte sind keine Frage der Meinungsfreiheit. Die Wahrheit ist keine Frage der Meinungsfreiheit.

Unseren öffentlichen Raum von falschen, unwahren und lebensfeindlichen Vorstellungen, Hierarchien und Rollen, vom Müll und von der Unkonzentriertheit befreien.
Und unsere Kommunikation vernünftig und geregelt machen. Dann können wir gemeinsam Lösungen finden und umsetzen.
Noch sind wir nicht frei.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Die ganze Geschichte legt sich aus Neubeginnen zusammen: Jetzt, Jetzt und Jetzt. Und immer wieder: auch Damals und Früher. Den Möglichkeitshorizont für die Wahrheit und Freiheit zu erschließen, bedeutet, das Leben zu pflegen.
Wahrheit sagen, Mut haben, Fehler machen, Freier werden, Fragen stellen, Antworten finden, Wahrheit Suchen, Kommunizieren, Tun.
Zeit und Raum im Blick zu behalten.

Wir müssen nicht schreiben. Wir müssen keine Kunst machen. Wir müssen nicht Geld verdienen, nicht einmal Frau oder Mann sein, uns oder anderen ähnlich aussehen oder dasselbe zu tun, was wir – oder andere – gestern oder jetzt gerade getan haben.
Aber wann ist ein Wort nicht umsonst? Und wie viele Worte haben wir heute gesagt? Was und wen unterstütze ich mit meiner Arbeit?
Zeit. Zeit. Wie viel Zeit haben wir? Dann ein Bild machen oder etwas ändern?

Das eigene Wissen und Verständnis teilen.
Unabhängig werden von Anerkennung, Geld, Gruppenzwang, Hierarchien, falschen Zielen und falschen Vorstellungen.
Gemeinsam machen wir es besser.

Was liest Du derzeit?
Die Erfahrungen meiner Mitmenschen.
Ihre Überlebensgeschichten, Tag für Tag, mitten im Nachrichtengewirr.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Vielen Dank für das Interview, liebe Maria, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Maria Wargin, Schriftstellerin
Zur Person _ Ende der 1980er in Kirgisistan geboren, Studium und wissenschaftliche Mitarbeit in Philosophie und Russische Kultur (Bochum, Sankt Petersburg), Übersetzungen aus dem Deutschen ins Russische. Seit 2016 freie Autorin und Mentorin. Sie schreibt Gedichte, Essays, Kurzgeschichten und Dramen, in russischer und deutscher Sprache. Derzeit arbeitet sie am Versepos „Manas“.
https://mariafelixwargin.webador.de
Fotos_Maria Wargin
Walter Pobaschnig _ 18.9.2023