Liebe Astrid Kohlmeier, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?
Mein Tagesablauf hängt stark von den Projekten ab, mit denen ich beschäftigt bin.
Gewöhnlich beginne ich den Tag mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette, oft bereits frühmorgens. Wenn ich an längeren Texten arbeite – Theaterstücken oder Erzählungen, zurzeit an einem Drehbuch für einen Kurzfilm – bringe ich Stunden am Computer zu und schreibe auch an den Wochenenden oft bis tief in die Nacht. Notizen zu Gedichten mache ich zu jeder Tageszeit an den verschiedensten Orten – in Cafés, Bars, im Park, auf der Straße, im Schwimmbad, im Urlaub am Strand – in einem kleinen schwarzen Buch und bringe sie anschließend am Laptop in ihre endgültige Form.
Die letzten Wochen war ich intensiv mit den Korrekturen des Manuskriptes meines im September im Wolf Verlag erscheinenden Lyrikbandes „Zärtliche Risse“ befasst. Auch die Büroarbeit nimmt Zeit in Anspruch etwa die Kommunikation mit meinen beiden Verlagen, das Stellen von Förderanträgen, die Vorbereitung von Lesungen, die Zusammenstellung von Beiträgen für Ausschreibungen und ähnliches. Ich lese täglich und unternehme in den Arbeitspausen Spaziergänge, fahre Rad, laufe oder praktiziere Yoga, um meine Gedanken zur Ruhe zu bringen.
Prinzipiell ist das Schreiben eine einsame Tätigkeit, die absolute Stille erfordert. Daher verbringe ich viel Zeit allein und versuche während der Arbeit jedwede Ablenkung von außen zu vermeiden. Einen starken Kontrast dazu bildet meine Regiearbeit – ich habe nach einer langen Pause im Frühling dieses Jahres wieder inszeniert. Hier steht die enge und intensive Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen und Künstlern und die Ensembleleistung im Vordergrund.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich bin der Ansicht, dass der Umgang mit den gegenwärtigen Krisen und deren Bewältigung, Besonnenheit, Mut, Kreativität und Zuversicht erfordert. Verunsicherung und Angst haben oft die Entstehung von Feindbildern und kopfloses Handeln zur Folge, das äußerst gefährlich werden kann. Darum ist es wichtig, als Wahrheit gehandelte Umstände zu hinterfragen, offen und tolerant zu bleiben, das Verbindende statt das Trennende zu suchen und auch in neuen, unkonventionellen Bahnen zu denken, um friedliche, nachhaltige Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu finden. Ich denke, es gibt für uns alle einen Ort jenseits von richtig und falsch, an dem man die Menschlichkeit und Güte seines Gegenübers entdecken kann, auch wenn man diesem im ersten Augenblick aufgrund seiner Fremdheit oder Andersartigkeit etwa in Bezug auf Herkunft, Kultur, religiöser Zugehörigkeit oder Weltanschauung misstraut oder es gar fürchtet. Vielleicht ist es gerade jetzt die Aufgabe jedes Einzelnen, nach diesem Ort zu suchen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich denke, dass es vor allem wesentlich ist, angesichts der Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben, nicht in Resignation zu erstarren, sondern diesen mit Wachsamkeit und kindlicher Neugierde zu begegnen, nicht aufzuhören Fragen zu stellen, Antworten zu suchen und neue Wege einzuschlagen.
Ich persönlich möchte am Leben wachsen, lernen, mich weiterentwickeln und im befruchtenden Austausch mit anderen stehen und ich glaube, dass die Kunst die Aufgabe hat, das geistige und emotionale Wachstum, von dem hier die Rede ist, zu fördern und nicht zuletzt jene Schönheit in die Welt zu bringen, nach der wir alle hungern.
Die Rolle der Literatur war und ist erfreulicherweise vielfältig. Sie kann berühren, bewegen, hinterfragen, inspirieren, aufrütteln, trösten, bilden, Menschlichkeit lehren, schockieren oder einfach nur unterhalten. Laut Schiller vermag die Kunst die Trennung zwischen Verstand und Gefühl aufzuheben und den zerrissenen Menschen wieder ganz zu machen. Wichtig erscheint mir, dass sowohl Bildungsinstitutionen als auch der Kunst- und Kulturbetrieb Barrieren abbauen und den Zugang zu allen Kunstformen erleichtern, sodass so viele Menschen wie möglich mit Kunst in Berührung kommen können und diese nicht allein einer kleinen Elite vorbehalten bleibt.
Was liest du derzeit?
Gerade lese ich die Schachnovelle von Stefan Zweig.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest du uns mitgeben?
Aus aktuellem, traurigem Anlass und noch einmal auf die Frage der Rolle der Literatur Bezug nehmend – Literatur vermag es auch, für den Frieden einzutreten – möchte ich an dieser Stelle zwei Buchempfehlungen aussprechen und die Lektüre von Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“ und Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ den Lesern ans Herz legen.
Vielen Dank für das Interview liebe Astrid, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Theaterprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Astrid Kohlmeier, Autorin und Regisseurin
Zur Person_Astrid Kohlmeier, Autorin und Regisseurin, geboren 1983, studierte Germanistik an der Karl-Franzens-Universität und der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Seit 2002 schreibt sie Theater- und Erzähltexte, Lyrik, Hörspiele und Drehbücher. Ihre Lyrik und ihre Prosa wurden in zahlreichen Literaturzeitschriften („Lichtungen“, „Die Rampe“, „Freibord“, „Luftdurchlässig“, „Proto“, etc.) und Anthologien publiziert. Seit 2006 ist Kohlmeier auch als Regisseurin tätig und inszenierte u.a. am Landestheater Schwaben und beim XIX. und XX. Greizer Theaterherbst. 2012 erhielt sie das Österreichische Staatsstipendium für Literatur. 2015 erschien ihr Gedichtband „Flüstere mir mein Meer glatt“ im INST Verlag. Im Herbst 2023 erscheint ihr Lyrikband „Zärtliche Risse“ im Wolf Verlag. Kohlmeiers Theaterstücke und Bearbeitungen von Erzähltexten werden mitunter in eigener Regie an Bühnen in Österreich, Deutschland, Luxemburg und in der Schweiz aufgeführt. Astrid Kohlmeier lebt und arbeitet in Graz.
Weitere Informationen auf http://www.astridkohlmeier.com.
Foto_Rahel Gölzner
Walter Pobaschnig _ 1.9.2023