„Wir sollten lernen, wie man lebt, wenn man nichts besitzt“ Markus Riedler, Künstler _ Wien 4.9.2023

Lieber Markus Riedler, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich denke, es handelt sich meistens um den Versuch, Räume zu öffnen oder geschlossen zu halten. Man muss auch nicht jede Tür aufmachen. Bei manchen reicht ein Blick durch das Schlüsselloch. In manchen Räumen befinden sich Licht und Wärme. Manche Räume sind dunkel und kalt.

Ein Tag hat 24 Stunden, die U-Bahn kommt alle 3 Minuten. Die Geschwindigkeit im Transfer von Geldern in der Finanzspekulation kann mit der menschlichen Wahrnehmung nicht mehr erfasst werden.

Als Kind habe ich auf die heiße Herdplatte gegriffen, mich verbrannt und geweint. 2 Minuten später habe ich wieder drauf gegriffen und wieder geweint. Und dann noch ein drittes Mal. Vielleicht muss man sich als Mensch gewissen Gefühlen vergewissern, vielleicht spürt man sich aber auch, wenn man älter wird, nicht mehr so viel.   

Markus Riedler, Künstler

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig? 

Ich denke, für uns alle wäre es wichtig unsere Gewohnheiten zu hinterfragen und unsere Geschichte zu betrachten. Wir sollten lernen, wie man lebt, wenn man nichts besitzt, auch die, die zu viel besitzen und es nicht mehr wertschätzen können. Soziale Unterschiede zeigen sich bereits bei sehr jungen Menschen sehr deutlich. Wollen wir eine breit gebildete Gesellschaft, die uns weiterbringt oder wollen wir Unterdrückung und Ausbeutung? 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu? 

Wenn man von etwas weg geht, stellen sich immer mehrere Fragen. Kann man das Hinterlassene alleine lassen? Was nimmt man mit? Warum verlässt man es? Gibt es überhaupt Neues? Die Rolle der Kunst sehe ich darin Fragen zu stellen und Gefühle verständlicher zu machen, die sich bei der Sezession aber auch im Ankommen spürbar machen. 

Was liest Du derzeit?

Ab und zu schaue ich in ein Magazin hinein, die Nachrichten verfolge ich täglich. Ich verspüre eine starke Neugier für das Gegenwärtige. Bücher lese ich momentan kaum. Ich bin viel in den Gedanken und der Kraft des Gehirns mir Dinge vorzustellen. 

Ich informiere mich viel über Pflanzen und Landwirtschaft. Ich sehe mir täglich tausende Bilder in unterschiedlichen Medien an und versuche diese in mir zu ordnen.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben? 

Einen Gesang aus Berthold Brechts Werk “Baal” aus 1918

Orge sagte mir:

1

Der liebste Ort, den er auf Erden hab`

Sei nicht die Rasenbank am Elterngrab.

2

Orge sagte mir: Der liebste Ort

Auf Erden war immer der Abort.

3

Dies sei ein Ort, wo man zufrieden ist

Daß drüber Sterne sind und unten Mist.

4

Ein Ort sei einfach wundervoll, wo man

Wenn man erwachsen ist, allein sein kann.

5

Ein Ort der Demut, dort erkennst du scharf 

Daß du ein Mensch nur bist, der nichts behalten darf.

6

Ein Ort der Weisheit, wo du deinen Wanst

Für neue Lüste präparieren kannst.

7

Und doch erkennst du dorten, was du bist:

Ein Bursche, der auf dem Aborte – frißt!

Vielen Dank für das Interview lieber Markus, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

Vielen Dank auch!

5 Fragen an Künstler*innen:

Markus Riedler, Künstler

Zur Person _ Markus Riedler wurde 1984 in Niederösterreich geboren. Er besuchte verschiedene Ausbildungen zur kreativen Gestaltung. Er war als Grafiker tätig und landete schließlich bei der Kunst. Seine Werke umfassen Zeichnungen, Grafiken, klein- und großformatige Malereien. Sein Interesse gilt dem Gegenständlichen und den Erzählungen. Er organisiert Ausstellungen in Wien und New York und macht Musik für Tanzperformance. Seit 2006 ist er tätig bei GOTO Verein der Künste.

www.instagram.com/markus.benjamin.riedler

www.markusriedler.tumblr.com

Foto_privat

Walter Pobaschnig _ 29.8.2023

https://literaturoutdoors.com

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