„Früh morgens einen Kaffee und eine Zigarette, den Tag und Ideen kommen lassen.“ Anja von Wins, Künstlerin _ Schlossgut Erching/München 1.9.2023

Liebe Anja von Wins, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Früh morgens einen Kaffee und eine Zigarette, den Tag und Ideen kommen lassen.

Mit dem Hund gehen.

Arbeiten: drei Tage in der Nicolaidis Young Wings Stiftung als Psychologin und den Rest der Woche in meinem Atelier.

Zusätzlich bin ich mit der Pflege meiner dementen Mutter beschäftigt, was mich jeden Tag sehr herausfordert.

Abends feststellen, dass der Tag zu kurz ist für alles, was ich vorhabe – das leichte Panikgefühl beruhigen, indem ich in Ruhe koche

Mich auf den nächsten Tag freuen, bevor ich ins Bett gehe.

Anja von Wins, Künstlerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Wir haben die eigene Verwundbarkeit und Verletzlichkeit erlebt, im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich. Vielen hat es sehr weh getan und tut es noch. Da kann es nur eines geben: Uns gegenseitig zu stärken, viel mehr das Miteinander in den Vordergrund stellen, um der Falle von ‘immer mehr‘ und ‘immer ich‘ auf allen Ebenen zu entgehen.

Wir haben nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Chance, Dinge und Situationen zu verändern und anders zu gestalten, neu zu erfinden. Wir können alles Erdenkliche tun, außer einfach weitermachen wie vorher. Das würde ja bedeuten, dass wir dumpf die Augen zu machen, unsere Kreativität und unser soziales Wesen negieren und letztlich -entmenschlicht- die Plastizität unseres Gehirns nicht nutzen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?

Das was in den letzten Jahren passiert ist: Klimawandel, Epidemie und Lockdown, der Krieg mit seinen Auswirkungen beeinflussen nicht nur mein Leben, sondern auch mein künstlerisches Tun. Zwangsläufig sind komplett neue Werksgruppen entstanden. Ebenso eine intensive spartenübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen. Mein Atelier wurde auch zur Mini-Galerie für Kolleg*innen, die ihre Kunst sonst nicht zeigen können. Soweit mein persönlicher Anteil.

Ich denke: Kunst braucht keine neue Rolle, sie ist und war immer ein Begleiter der Menschheit. Sie ist ein Widerspiegel der Zeit, in der sie entstanden ist, egal ob sie kritisch ist oder Ästhetik in den Vordergrund stellt. Menschen drücken sich in Kunst aus, egal welches Genre, und konfrontieren oder berühren andere damit.

Die Frage ist vielmehr, wieviel Raum wir bereit sind, ihr zu geben und welche Bedeutung sie bekommt. Hier gibt es aus meiner Sicht sehr viel Handlungsbedarf: Natürlich geht es da um Gelder, um Versorgung von Künstler*innen, um Möglichkeiten, seine Kunst zeigen zu können, das wirkt ja immer noch nach. Aber auch um fragwürdige Aktionen, wie z.B. auf der diesjährigen Documenta.

Was liest Du derzeit?

„IM GRUNDE GUT“ von Rutger Bregman

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Und wir beginnen im gegenwärtigen Moment, denn das ist der einzige Ort, wo wir beginnen können“ (Shapiro und Carlson)

Vielen Dank für das Interview liebe Anja, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

Anja von Wins, Künstlerin

5 Fragen an Künstler*innen:

Zur Person_Anja von Wins ist 1966 in München geboren. Zwei Jahre lang widmete sie sich dem Studium der Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft. 1987 begann sie Psychologie zu studieren und beendete dies 1994 erfolgreich. Seitdem arbeitet sie als psychologische Trainerin und Beraterin.

Parallel dazu hat sich Anja von Wins intensiv mit Acrylmalerei beschäftigt, von 2006 bis 2014 mit professioneller Unterstützung: An der Kunstakademie Bad Reichenhall holte sie sich Impulse von renommierten Künstlern. In Stefan Geisler fand sie schließlich einen wichtigen Lehrer und Mentor für ihre künstlerische Weiterentwicklung.

2005-2013 leitete sie die „Schule der Phantasie“ und die Museumspädagogik im Kallmann Museum, Ismaning.

Neben der Malerei beschäftigt sie sich mit Synästhesie und inszeniert in gemeinsamer Arbeit mit Musiker*innen unterschiedliche Art-Performances.

Teilnahme an Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen, auch international.

Das eXperimenta- Magazin für Literatur, Kunst und Gesellschaft stellt mehrfach ihre Arbeiten vor: Ausgabe November 2017 mit Titelbild, getitelt „Die Farbe Rot“; Oktober 2018 mit Titelbild, getitelt mit „Bach in Blau“; Mai 2020 mit Titelbild, getitelt „Bis ins Blau – Poesie der Heilung“, jeweils mit einem Interview und einer ausführlichen Berichterstattung. Ebenfalls in der eXperimenta erscheint im Dezember 2018 ein Künstlerportrait über sie, verfasst von Jens Philipp Gründler.

In der Reihe „KÜNSTLERFRAGEN“ des Paul-Klinger-Künstler-Sozialwerks wird sie und ihre Arbeit im Dezember 2022 in einem ausführlichen Gespräch vorgestellt

In ihrer Atelier-Werkstatt auf dem Schloßgut Erching bei München veranstaltet sie neben Ausstellungen auch Konzerte, spartenübergreifende Kunst-Events, Kurse und Begegnungen für Künstler*innen und Kunstinteressierte.

Foto_Miroslaw Sadecki-Trampler

Walter Pobaschnig _ 22.8.2023

https://literaturoutdoors.com

Hinterlasse einen Kommentar