„Es ist Urlaubszeit. Diese Zeit genieße ich sehr in Heidelberg.“ Manfred Metzner, Schriftsteller, Verleger  _ Heidelberg 30.8.2023

Lieber Manfred Metzner, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?

Es ist Urlaubszeit und daher im Verlag etwas ruhiger. Ich kann mir meine Arbeit anders einteilen. Diese Zeit genieße ich sehr in Heidelberg, das fast wie ausgestorben wirkt, keine Studierenden mehr da, TouristInnen schon. In meinem Stadtteil sind so gut wie keine Familien-Lastenfahrräder unterwegs, die durch den verkehrsberuhigten Stadtteil rasen. Was bisher die Autos erledigt haben, erledigen jetzt die Lastenfahrräder: Geschwindigkeitsrausch. Die hier gebliebenen Menschen lassen es lockerer angehen, daher kommt es zu ausführlichen Gesprächen z.B. bei meiner Zeitungsfrau. Ich kaufe dort seit Jahren meine Tageszeitungen. Ja, ich lese immer noch Print.

Manfred Metzner, Schriftsteller, Verleger 

Was ist jetzt für uns alle wichtig?

Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre zwingen uns dazu, unsere Stimmen noch lauter für Demokratie und Freiheit zu erheben, uns für das Fremde einzusetzen, die Kreolisierung der Gesellschaften ernst zu nehmen, gemeinsam gegen die menschenverachtenden Politiken weltweit vorzugehen. Uns ging es allen sehr lange sehr gut. Pandemie und Krieg haben unser Leben radikal verändert. Jetzt müssen wir handeln.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Schon als Jugendlicher (ich bin in Friedrichshafen am Bodensee aufgewachsen und dann 1967 zum Studium nach Heidelberg ) war ich vollkommen davon überzeugt, dass nur Kunst, Theater, Film, Poesie und Literatur für eine gerechte und freie Gesellschaft sorgen können, und wir alles daran setzen müssen, das Wissen darum so weit wie möglich zu verbreiten, den Diskurs in alle Gesellschaftsschichten hineinzutragen, um für eine gebildete Gesellschaft zu sorgen, deren Individuen selbstbestimmt entscheiden können und keinen Ideologien, Führerkulten, Monotheismen und Rassisten verfallen. Die erschreckende Erkenntnis aber ist, dass gerade die Politik uns im Stich läßt, den Kulturen nicht den Stellenwert gibt, der ihnen gesellschaftlich zusteht. Wer die Kulturen der Welt ignoriert, missachtet, schwächt, greift dadurch demokratische Strukturen an.

Was liest du derzeit?

Ich lese Günter Eichs Prosa-Text „Katharina“. Es gibt ja keine Zufälle: Mein am 23.12.2022 verstorbener Freund Michael Braun veröffentlichte kurz vor seinem Tod aus Anlass des 50. Todestages von Günter Eich den Essay-Band „Was ich weiß, geht mich nichts an“. Eich hatte mich schon 1968 mit seinen „Maulwürfen“ voll in seinen Bann gezogen. Als ich Anfang August in Wasserburg (Inn) war, sah ich im Schaufenster eines Antiquars Eichs Buch „Katharina“, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Das mußte ich haben. Ich rief den Antiquar an, und wir verabredeten uns am 3. August. Am 3. wäre meine Mutter, die Katharina hieß, 102 Jahre alt geworden, sie starb 2021 mit 99 Jahren. Günter Eichs Text erschien 1936 im Paul List Verlag Leipzig.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest du uns mitgeben?

„Die Kreolisierung ist keine beliebige (uniforme) Vermischung, wo jedes Einzelne verloren geht, sondern eine Reihe überraschender Lösungen, deren fluide Maxime so lauten könnte: Ich verändere mich im Austausch mit dem Anderen, ohne mich zu verlieren oder zu verfälschen.“

(Edouard Glissant, Philosophie der Weltbeziehung. Poesie der Weite. A. d. Frz. ü. v. Beate Thill, 2021)

Vielen Dank für das Interview lieber Manfred, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

Manfred Metzner, Schriftsteller, Verleger 

5 Fragen an Künstler*innen:

Zur Person_Manfred Metzner lebt als Wunderhorn-Verleger in Heidelberg. Von 2000 – 2010 war er Vorsitzender der Kurt-Wolff-Stiftung, 2006 – 2014 Lehrbeauftragter für Kulturvermittlung und Verlagswesen an den Universitäten Heidelberg und Mannheim. Von 1994 – 2016 war er Leiter der Heidelberger Literaturtage, 2010 – 2017 Sprecher der Kulturregion Rhein-Neckar.

Er ist Herausgeber und Nachlassverwalter des Werks der Bauhaus-Schülerin Ré Soupault. Sein Verlag wurde 2019, 2020, 2022, 2023 mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet.

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Walter Pobaschnig _ 22.8.2023

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