„Dass wir unsere Welt deutlich mehr im Sinne des Verbindenden denken“ Michael Georg Bregel, Schriftsteller _ Berlin 25.8.2023

Lieber Michael Georg Bregel, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Bedingt durch meine seelische Bauart bin ich nach dem Aufstehen zunächst mal auf das Funktionieren einer Reihe von Routinen angewiesen, damit es überhaupt ein Tag für mich wird. Wenn das geklappt hat, übersetze ich nach und mit reichlich Kaffee üblicherweise erst mal ein paar Stunden, das ist meine hauptsächliche Einkommensquelle.

Im weiteren Tagesverlauf lasse ich mich dann davon leiten, was mir meine kreative Ader zu bestimmten Ideen, Themenstellungen und Anfragen in die Arbeitsgehirnzellen pumpt. Daraus kann dann Literatur, Fotografie, Grafik oder auch mal ein experimenteller Kurzfilm werden. Wenn mir aber zum Beispiel zum Thema eines Kunst-Calls eher eine Kurzgeschichte einfällt, schreibe ich lieber die und freue mich über den Quer-Impuls.

Am Abend lese ich dann ein paar Zeitungen und schaue die eine oder andere Nachrichtensendung – Newsjunkie, bleibender Schaden meines einstigen Journalisten-Berufs.

Die Nacht ist dann meist der literarischen Lektüre gewidmet.

Michael Georg Bregel,
Autor, Übersetzer, Redakteur und bildender Künstler

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Das Bemühen um Akzeptanz. Gegenseitiges Verstehen-Wollen. Darüber Nachdenken, wie wir miteinander reden. Und auf welche Weisen wir Ansprüche geltend machen wollen. Und zwar auf allen Ebenen. Zwischen Einzelpersonen genauso wie zwischen Nationen und Weltanschauungen, gesellschaftlichen Gruppen, Communities und Generationen.

Ich denke, dass die aktuell politisch, gesellschaftlich und emotional so wirren Zeiten eigentlich nichts genuin Neues sind, sondern wohl von fast jeder der letzten Generationen in der einen oder anderen Form ähnlich und potenziell genauso apokalyptisch erlebt wurden. Könnten wir das akzeptieren, wäre das gegenseitige Verstehen der jeweiligen Gefühlslagen vielleicht etwas einfacher. Gefühlt häufen sich die Krisen in diesen Tagen nur mehr als „früher“ – und sie werden subjektiv seltsamer, unerwarteter (wie die gleichzeitig hyperreale wie surreale Corona-Zeit), universaler (wie die Klimawandel-Katastrophe) und oft auch unverständlicher (wie der unfassbar unsinnige Ukraine-Krieg).

Aus meiner Sicht wäre besonders wichtig, dass wir alle unser Leben und unsere Welt deutlich mehr im Sinne von Integration, also im Sinne dessen denken, was wir gemeinsam haben, was uns verbindet. Leider funktionieren Gemeinschaften, Gesellschaften und wohl auch Menschen individuell aber eher über Ab- und Ausgrenzung. Über Ausgrenzung derer, die angeblich nicht dazugehören, und über grundsätzliche Ablehnung dessen, was angeblich nicht „unserer“ Philosophie und Lebensart entspricht. Dass der Mensch dahingehend noch in eine Lernkurve einbiegen wird oder von seinem Wesen her überhaupt dazu in der Lage wäre, glaube ich aber leider immer weniger.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Was ich dabei für wesentlich hielte, habe ich ja gerade schon kurz angerissen.

Die Literatur und andere Kunstformen können direkt zwar sicher wenig bewirken. Sie können aber dafür sorgen, dass – wenn auch stilisiert – immer das breitestmögliche Spektrum von Ansichten, Interpretationen und Deutungen für alle verfügbar bleibt, die dafür offen sind. Wobei die Hoffnung bleibt, dass durch die „Verkunstung“ von wichtigen Themen so auch vielleicht nicht mehr von der politischen Meinungsbildung her, aber zumindest noch für kulturelle Experimente offenen Leuten verschiedene Aspekte zentraler Debatten zumindest indirekt zugänglich gemacht werden können, auf die sie sich in ihrem bereits festgefügten Weltbild sonst nicht eingelassen hätten.

Für alle, die künstlerisches Erleben grundsätzlich bereitwillig in und für sich aufnehmen, kann Kunst einfach alles sein: Hammer und Hirnschmeichler, Kran und Krücke, Leuchtturm, Leberfleck und Lebensmittel …

Was liest Du derzeit?

Ich lese immer einiges parallel. Aktuell hole ich zum einen ein paar ältere Jahrgangsbände der US-amerikanischen Dada-Literatur-und Kunstzeitschrift „Maintenant“ nach, die ich erst kürzlich antiquarisch bekommen konnte. In der aktuellen Ausgabe des Anthologie-Journals aus New York bin ich übrigens auch selbst mit einer Arbeit vertreten. Zudem lese ich gerade die sehr gelungenen Gedichtbände „Nebelatlas“ von Gabriel Wolkenfeld und „Prinzenverstecke“ von Steffen Marciniak. Und auch immer irgendwas von Stephen King. Als Nächstes freue ich mich auf die neuen Bücher von zwei Autoren-Kolleginnen aus Berlin, die ich auch persönlich sehr schätze: „Marie – Wenn ich schlafe darfst du träumen“ von Regine Wendt und den Erzählband „Alle Eine“ von Carla Bessa, die deutsche Übersetzung ihres jüngsten brasilianischen Erfolgs „Todas uma“ erscheint im Herbst bei Transit.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Passend zum Akrostichon-Impuls einen Text von Yoko Ono, geschrieben im Herbst 1963, aus ihrem herausragenden, 1964 erschienenen Buch „Grapefruit“:

LIGHT PIECE

Carry an empty bag.

Go to the top of the hill.

Pour all the light you can in it.

Go home when it is dark.

Hang the bag in the middle of your

room in place of a light bulb.

Ich habe das übrigens neulich einfach mal gemacht. Das Licht reicht jetzt noch, um diese Zeilen dabei zu schreiben.

Vielen Dank für das Interview lieber Michael Georg, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunst-, Journalismusprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Michael Georg Bregel, Autor, Übersetzer, Redakteur und bildender Künstler

Zur Person _ Michael Georg Bregel (*1971 in München, lebt in Berlin) ist gelernter Rundfunkjournalist, war Tageszeitungsredakteur, ist Diplom-Politologe und freiberuflich als Autor, Übersetzer, Redakteur und bildender Künstler tätig. Diverse Ausstellungen, Preise für Lyrik und Journalismus. Neben Herausgaben und zahlreichen Beiträgen in Anthologien und Zeitschriften erschienen von ihm als Einzelveröffentlichungen bislang eine Erzählung, eine Graphic Novel und drei Lyrikbände, zuletzt 2021 „Diesseits“ (edition ..,- Berlin).

Foto_privat

Walter Pobaschnig _ 6.8.2023

https://literaturoutdoors.com

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