Station bei Malina _ „Die Erzählfigur ist einem ständigen „Mansplaining“ ausgesetzt“ Natalie Campbell, Schriftstellerin,Tänzerin. _ Wien 15.8.2023

Natalie Campbell, Schriftstellerin,Tänzerin.
Transdisziplinäre Künstlerin im Feld von Literatur und Performance_

acting Malina
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Natalie Campbell, Schriftstellerin,Tänzerin.
Transdisziplinäre Künstlerin im Feld von Literatur und Performance_

acting Malina
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.

Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.

Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.

50 Jahre – Malina – 1971 – 2021 – Roman _ Ingeborg Bachmann

Natalie Campbell, Schriftstellerin,Tänzerin.
Transdisziplinäre Künstlerin im Feld von Literatur und Performance_

acting Malina
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Liebe Natalie Campbell, wir sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien. Sind Dir die Orte hier vertraut?

Ja, die Ungargasse ist mir vertraut. Auf Nummer 28 befand sich 2010 die Redaktion des Monatsmagazins Datum. Den Gründer des Magazins, Klaus Stimeder, hatte ich über einen Journalismus-Workshop des Renner-Instituts kennengelernt, als ich mich, frisch in Wien gelandet, im Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft langweilte, und, beeindruckt von seinem leidenschaftlichen Plädoyer für den Qualitätsjournalismus heuerte ich dort als Praktikantin an. Ein halbes Jahr lang bin ich also jeden Tag die Ungargasse rauf und runter spaziert, an der Löwenkopfpforte vorbeigekommen, ohne sie wahrzunehmen, in Gedanken immer woanders, schließlich wollte ich nicht weniger, als beim DATUM die hehre Handwerkskunst des Reportagen-Schreibens zu erlernen.

Außerdem: verwaschene Erinnerungen an ein Glas Vodka Orange auf einem Tisch im Malipop (vgl. Bachmann: 161). Dazu Schallplattenmusik.

Welche Bezüge und Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und dem Roman Malina?

Ich habe Ingeborg Bachmann während meiner Studienzeit entdeckt und der Roman Malina stand lange Zeit in meinem Regal, bevor ich ihn, nach einem meiner zahllosen Umzüge, meiner Mutter vermacht habe – als ich Malina für dieses Interview noch einmal kaufte (in den mütterlichen Buchbeständen war der Roman nicht auffindbar, und so ist Malina wohl das einzige Buch, das ich, Zeit meines Lebens, zweimal kommerziell erworben habe) und las, musste ich zu meinem großen Erstaunen feststellen, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte dieses Buch noch niemals in der Hand gehabt. Bin ich tatsächlich so vergesslich? Wenn ja, dann gäbe es durchaus Ähnlichkeiten mit der Hauptfigur des Romans.

Malina zu lesen, bedeutet für mich, sich einem Rauschzustand hinzugeben, wie ein Vortex hat mich der Roman in seinen Bann gezogen und am Ende halbverdaut wieder ausgespuckt: ich habe Übelkeit, Misstrauen und vor allem Wut verspürt. Wut auf ein patriarchales Gesellschaftssystem und die festgefahrenen bürgerlichen Werte, die diese Strukturen weitertragen und miterhalten.

Wie siehst du den Aufbau und das Konzept des Romans?

Der Roman ist in 3 Teile gegliedert, wobei der 2. Teil wie ein Einschub wirkt, gleich einem (Wahn-)Traum holt er Unterbewusstes, in der Tiefe schwelendes, Verloren Geglaubtes an die Oberfläche und offenbart das Innerste der Protagonistin.

Dagegen wirkt Teil 1, mit den sehnsüchtigen Zwiegesprächen zwischen Ivan und Erzählfigur, beinahe wie ein nüchternes Protokoll. Das Ende gibt mir persönlich Rätsel auf. Ich empfinde es in seiner diffusen Art beinahe als unbefriedigend, jedenfalls macht es mich traurig, weil der Kampf der Protagonistin ein hoffnungsloser war.

Die Sätze sind oft sehr lang, verschachtelt, kompliziert, ich empfehle den Roman gierig und in großen Happen zu verschlingen.

Was sind für Dich zentrale Themen und Aussagen des Romans?

Die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, „Rape Culture“, die gesellschaftliche Legitimation von Gewalt (physisch, verbal, emotional) in romantischen und sexuellen Beziehungen.

Wie ist die Beziehung zwischen Mann und Frau im Roman dargestellt und wie ist dies heute zu sehen?

Die Erzählfigur ist einem ständigen „Mansplaining“ ausgesetzt, wie es heute heißen würde. Obwohl sie so intelligent und erfolgreich scheint, kann sie sich in den Dialogen nicht gegen ihre Männer durchsetzen, sie hält sich selbst für ein hilfloses, unselbstständiges Wesen und wird zusätzlich von Ivan und Malina klein gemacht, teilweise beschimpft, degradiert.

Die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen (im Politischen, wie „im Privaten“) sind nach wie vor Realität. Dazu gibt es unzählige Studien und Belege. Der progressivere Teil der Gesellschaft will diese Machtstrukturen gerne aufbrechen – der Rest wünscht sich ein Rückbesinnen auf die „traditionellen Werte“.

Wie siehst du das Ende des Romans?

Malina hat die Erzählfigur auf dem Gewissen, er ist ein Mörder. Die Protagonistin verschwindet nicht freiwillig: sie wurde ausgelöscht.

Welche Eindrücke hast du von den Schauplätzen in der Ungargasse, die wir besucht haben?

Besonders stark sind mir die roten Ameisen im Efeu in Erinnerung geblieben. Mit meinen körperlichen Interventionen bin ich in ihr Territorium eingedrungen und die Rache dafür habe ich noch einige Tage auf meiner Haut gespürt. Auf den Straßenbahnschienen der Ungargasse spazieren zu gehen, war ein befreiendes Erlebnis, ein leichter Nervenkitzel, was ich sehr genossen habe. Ästhetisch besonders ansprechend fand ich das Stiegenhaus im Ivan-Haus: die Wendeltreppe und die gusseisernen Geländer.

Gab es in Deinen Literatur-, Kunstprojekten Berührungspunkte zu Ingeborg Bachmann?

Ich wünschte es wäre so.

Wie war Dein Weg zur Literatur, dem Tanz, der Kunst und was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

„Nimm Umwege“, „Lass dich ablenken“, schreibt Peter Handke in seinem Gedicht „Über die Dörfer“. Seine Empfehlungen sind in meinem Leben Realität geworden. Ins Schreiben bin ich hineingestolpert. Aus einer exzessiven Leserin wurde schon zu Kindheitszeiten eine exzessive Geschichtenerzählerin. Ich habe Geschichten aufgeschrieben, auf Kasettenbänder gesprochen, mir Spiele und Theaterstücke ausgedacht. Nach einem kurzen Abstecher in den Journalismus war mir klar, dass ich fiktive Geschichten schreiben will. Tanzen war eine sehr bewusste Entscheidung. Mitte Zwanzig habe ich mich entschieden, dass ich (auch) Tänzerin sein will, und alles dafür in Bewegung gesetzt, dieses Ziel zu erreichen. Mein Curriculum dafür war und ist ein selbst-organisiertes. Ich liebe das poetische Element in Stücken, interessiere mich für die Dramaturgie hinter körperlichen Performances. Beim Tanzen nimmt die Frage „wie fühlt es sich an?“ mittlerweile mehr Relevanz als „Wie schaut das aus?“ ein.

Ich lande gerade nach 3 Reisejahren mit meinem Van und meiner Familie in Wien. Es fühlt sich alles noch neu und ungewohnt an. Das ist interessant, weil ich doch eigentlich in Wien geboren bin und hier die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe. Im Sommer jetzt unterrichtete ich bei Shake the Break/Impulstanz Wien einen Workshop für Kinder namens Ariadnes Faden.

Was wünscht du Dir für deinen Beruf als Schriftststellerin, Künstlerin?

Ankerkennung. Und Geld. Ich möchte von meiner Arbeit leben können.

Was möchtest du Künstler:innen am Anfang Ihres Weges mitgeben?

Niemals ankommen, immer wieder von vorne anfangen.

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?

Wer weiß – hätte ich so ein Treffen organisiert, dann hätten wohl Kaffeehausbesuche auf dem Plan gestanden – etwa das Cafe Benedikt, in der Sechskrügelgasse, gleich bei der Ungargasse, vielleicht das wiedereröffnete Cafe Westend, oder wir wären Pizza essen gegangen, in der Disco Volante, wobei selbst dort die Pizzen sicher nicht so gut wie in Rom schmecken – vielleicht wären wir einfach spazieren gegangen, durch die Stadt oder am Donaukanal entlang, denn im Gehen redet es sich meiner Meinung nach am besten.

Darf ich dich abschließend zu einem Malina Akrostichon bitten?

M elatonin

A mnesie

L andstraße

I rrsee

N eutrum, n.

A uflösungsprozess

Natalie Campbell, Schriftstellerin,Tänzerin.
Transdisziplinäre Künstlerin im Feld von Literatur und Performance_

acting Malina
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971

im Interview und szenischem Fotoportrait_acting Malina

Natalie Campbell, Schriftstellerin,Tänzerin.
Transdisziplinäre Künstlerin im Feld von Literatur und Performance_

Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  

50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)Schauspielerin _ Wien _

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Interview und alle Fotos_Romanschauplatz _ Malina_Wien _ Walter Pobaschnig

Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.

Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.

Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.

Walter Pobaschnig, 8_23

https://literaturoutdoors.com

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