Lieber Gerd Alois Wildbacher, wie sieht Dein Tagesablauf aus?
Ich habe überwiegend keinen geregelten Tagesablauf. Jedenfalls nicht so, wie viele andere Menschen ihn kennen, die feste Arbeitszeiten haben. Ich orientiere mich also weitgehend an meinen beruflichen Anforderungen. Die können tatsächlich sehr unterschiedlich sein. Wenn ich Theater spiele, dann stehe ich beispielsweise abends auf der Bühne, eben dann, wenn die meisten anderen Freizeit haben. Sehr oft auch am Wochenende. Bei einem Film-Dreh kann es dagegen schon mal vorkommen, dass ich um halb vier Uhr morgens aufstehen muss. Dazwischen gibt es Proben und es sind organisatorische Dinge zu erledigen. Bei mir verschwimmen die Grenzen zwischen Privatleben und Beruf sehr oft. Da hilft es mir, dass ich prinzipiell spontan und flexibel bin. Ich mag das. Von meinem Wesen her bin ich aber grundsätzlich eine Nachteule. Früh aufstehen ist also nicht so mein Ding!

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Es fällt mir schwer allgemein gültige Ratschläge zu erteilen. Menschen sind sehr unterschiedlich und haben daher sehr individuelle Bedürfnisse. Ich selbst erinnere ich immer wieder daran, dass es gilt jetzt und im Moment zu leben. Nichts aufzuschieben. Morgen kann ja alles bereits vorbei sein. Wer weiß das schon? Leider gelingt mir das noch immer viel zu selten. Es gibt da ein Sprichwort, das ich sehr gerne mag: „Yesterday is history, tomorrow is a mystery, but today is a gift. That is why it is called the present.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Menschen standen wohl schon seit jeher und immer mal wieder vor einem Aufbruch, vor einem Neubeginn. Vermeintlich. Ich kann daran nichts Neues erkennen. Jedenfalls, weil wohl jede Generation das so empfindet. Vielleicht, weil wir uns selbst zu wichtig nehmen. Was soll denn Neubeginn heißen? Und für wen soll dieser Neubeginn gelten? Für alle? Es ist doch nie etwas allgemeingültig. Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit, hat angeblich Aulus Gellius mal gesagt. Die Schönheit übrigens auch! Es gibt keine Wahrheit für alle. Die Wahrheit hat viele Gesichter, sagt beispielsweise Luigi Pirandello. Und ich gebe ihm recht.
Die Geschichte hat vieles an Neubeginn und Aufbruch gezeigt, das ich heute nicht erleben würde wollen. Radikale Weltverbesserer machen mir Angst. Aber: Ich bin kein Philosoph. Und ich möchte auch nicht die Welt retten. Persönlich versuche ich mich stetig weiterzuentwickeln. Und ich hinterfrage mein Tun.
Die Kunst beispielsweise kann aufmerksam machen. Aufrütteln. Aber sie kann auch einfach bloß unterhalten. Auch hier gibt es alle nur erdenklichen Möglichkeiten. Bis hin zu gehirnwaschender Propaganda. Ich erlebe eine zunehmende Radikalisierung in unserer Gesellschaft. Es scheint vermehrt nur noch „schwarz oder weiß“ zu gelten. Die Welt ist aber bunt. Lassen wir sie doch bitte weiterhin bunt bleiben. Bunt und friedlich!
Was liest Du derzeit?
Ich lese grade erneut „Als ich ein kleiner Junge war“, von Erich Kästner. Daneben lese ich immer wieder Lyrik, da ich Gedichte sehr liebe. Und selbstverständlich auch Theaterstücke. Im Moment „Endspiel“, von Samuel Beckett.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Da gäbe es ganz viele Möglichkeiten. Ich entscheide mich spontan für eines meiner absoluten Lieblingsgedichte.
Wie soll ich meine Seele halten, daß sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie hinheben über dich zu andern Dingen? Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkel unterbringen an einer fremden stillen Stelle, die nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen. Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Geiger hat uns in der Hand? O süßes Lied.
Rainer Maria Rilke
Vielen Dank für das Interview lieber Gerd, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspiel-, Musik-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:
Gerd Alois Wildbacher, Schauspieler, Sprecher und Musiker
Zur Person_Gerd Alois Wildbacher wurde in Eibiswald geboren und ist in Bad Schwanberg aufgewachsen. Er studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz. Danach folgten unterschiedliche Engagements unter anderem am Schauspielhaus Graz und an diversen Bühnen, vor allem in der freien Theaterszene.
Er lebt als Schauspieler, Sprecher und Musiker derzeit in Graz.
Fotos_privat
Walter Pobaschnig _ 9.6.2023