



„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
Lydia Steinbacher, Schriftstellerin im Interview und szenischem Fotoportrait zu „Undine geht“.
2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Fotos_Donau_Wien.
Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.
Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.
Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Liebe Lydia Steinbacher, wie liest Du den Text „Undine geht“ von Ingeborg Bachmann? Welche Grundaussagen gibt es da für Dich?
Undine hat eine starke Stimme. Sie spricht klar über die menschlichen Verfehlungen, die sie beobachtet und erlebt hat, die Unterdrückung und Ausbeutung, die Liebe und das Leid. Undine geht aufs Ganze, sie klagt an („Verräter!“) und verleiht ihrer Enttäuschung Ausdruck („Ich gehe ja schon.“). Für mich geht es in dem Text um „beinahe mörderische“ Machtstrukturen, auch um die Instrumentalisierung von Sprache.

Wie siehst Du „Undine“?
Einerseits sehe ich in Undine die personifizierte Versuchung, man könnte sagen, sie sei aus Sehnsüchten derer, die sich Hans nennen, gesponnen. Gleichzeitig wird sie selbst verlockt, auch durch die Sprache.
In Undines Monolog wird dieser Zwiespalt deutlich: Auf der einen Seite ein mögliches Leben in geregelten Bahnen, das aber mit Zwängen verbunden ist. Auf der anderen Seite die Grenzenlosigkeit und Unergründlichkeit, wo Sprachlosigkeit herrscht. Man kann von der einen in die andere Welt eintauchen, aber wie lange dort verweilen? – Undine geht.




„Undine geht“ wurde vor rund 60 Jahren veröffentlicht. Was hat sich seit damals im Rollenbild von Frau und Mann verändert und was sollte sich noch ändern?
Ich kann nicht aus eigener Erfahrung sprechen, aber definitiv haben große Veränderungen in dieser Hinsicht stattgefunden. Rollenbilder gibt es allerdings noch immer, das Sortieren der Welt in „geläufige“ Formen, um sie einfacher zu machen. Ein gewisses Schwarz-Weiß-Malen beschleunigt das Beurteilen und das Treffen von Entscheidungen. Wir urteilen und verurteilen aber ohnehin meist viel zu schnell. Zeit also, die Formen wirklich durchlässig werden zu lassen.

Der Monolog geht mit der patriarchalen Gesellschaftswelt schonungslos ins Gericht. Wie siehst Du die Situation patriarchaler Macht heute?
Vieles hat sich zum Besseren entwickelt, gesetzliche Grundlagen für mehr Gleichberechtigung wurden geschaffen, zumindest in Österreich. Der öffentliche Diskurs ist da, aber ein bisschen habe ich das Gefühl, wir halten uns zu viel mit wohlklingenden Reden auf. Zur ganzen Wahrheit fehlt noch ein Stück, wie Undine sagt: „Gut war trotzdem euer Reden, euer Umherirren, euer Eifer und euer Verzicht auf die ganze Wahrheit, damit die halbe gesagt wird […].“

Der Text drückt auch viel Trauer über das Scheitern der Liebe und eines Miteinander der Geschlechter im gesellschaftlichen Leben aus. Welche Auswege siehst Du da?
Hoffnungsvoll zu reden, ist nicht gerade meine Stärke. Ich glaube, sehr allgemein gesprochen ist unsere Gesellschaft nicht gut darin, Kränkungen zu verkraften und Privilegien zurückzulegen, Anstrengungen und Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen.

Auf kleinerer Ebene: Die Bestrafung von unwesentlichen Fehlern mit (vorgetäuschtem?) Liebesentzug. Immer die tödlichste Waffe zu ziehen und damit herumzuspielen – was für eine Unart!

„Viel zarter als alles Zarte von euren Frauen ist eure Zartheit, wenn ihr euer Wort gebt oder jemand anhört und versteht.“
„Zu loben sind eure Hände, wenn ihr zerbrechliche Dinge in die Hand nehmt, sie schont und zu erhalten wißt, und wenn ihr die Lasten tragt und das Schwere aus einem Weg räumt.“

Was kannst Du als Frau und Künstlerin von „Undine geht“ in das Heute mitnehmen?
Kampfgeist und den Eifer, weiter nach den richtigen Worten für die Welt zu suchen.

Was bedeutet Dir Natur?
Eine schwierige Frage, ich muss zuerst darüber nachdenken, was Natur eigentlich ist … Ein Gegenbegriff zum Lebensraum und Einflussbereich des Menschen, Tier- und Pflanzenwelt, Gewässer und Gesteinsformationen, jedenfalls Systeme, die der Mensch oder ein Mensch noch nicht großzügig umgestaltet hat, Räume, die wir nicht „beherrschen“.
Zeit in der Natur zu verbringen, ist für mich befreiend. Am allerwohlsten fühle ich mich am Ufer der Ybbs – die Geräusche, der Geruch, das reflektierende Sonnenlicht, die Ringelnattern und die hellen runden Steine sind mir so vertraut.

Wie kann der moderne Mensch in Harmonie zur und mit der Welt leben?
Weder die Welt noch die Natur ist harmonisch – das wäre, glaube ich, ein ziemlich naiver Blick, da folgt dann dicht dahinter die romantisch-verklärte Vorstellung der „edlen Wilden“. Wir leben auf Kosten anderer Lebewesen. Unsere Fähigkeit zu Mitgefühl ist dabei sehr beschränkt. Wir müssten uns beschränken, die Welt und die Natur nicht über ein Maß hinaus verändern, das nicht zuletzt uns selbst bzw. zukünftigen Generationen schadet.

Was braucht Liebe immer, um zu wachsen, blühen?
Den Willen zur Anstrengung im Versuch, das Andere und Fremde zu verstehen. Den Willen zur Anstrengung, das Eigene zu verstehen und dem Anderen mitzuteilen. Genügend Nachsicht, weil es beim Versuchen bleibt.

Was lässt Liebe untergehen?
Da ließe sich wahrscheinlich eine lange Liste erstellen, aber ich würde sagen, Machtgelüste und Gewalt (egal in welcher Form) sind in jedem Fall Gift für die Liebe.

Wie war Dein Weg zum Schreiben?
Als Kind war ich die stille Bewunderin meiner älteren Schwester, die Geschichten so liebte wie ich und gerne schrieb. Ich habe mich früh in die Beständigkeit des geschriebenen Wortes verliebt. Im Teenageralter fing ich dann an, Gedichte zu verfassen, später auch Prosa.

Welche Berührungspunkte/Impulse gab es bisher in Deinen Literaturprojekten mit Ingeborg Bachmann?
Vor unserem Treffen habe ich mein Exemplar von Bachmanns Erzählband „Das dreißigste Jahr“ aus dem Regal genommen und darin gelesen, nicht nur die Erzählung „Undine geht“. Dabei sind mir meine Unterstreichungen und Notizen aufgefallen. Die bildreiche, kraftvolle Sprache ist wahnsinnig inspirierend und impulsgebend, anstoßend, auch beim Wieder-Lesen.

Heuer ist das 50.Todesjahr von Ingeborg Bachmann. Wie siehst Du die Umstände ihres frühen Todes?
Über die genauen Todesumstände nach dem Wohnungsbrand wurde ja viel gemutmaßt, ich weiß eigentlich wenig darüber. Enttäuschungen, Abhängigkeiten und Entzugserscheinungen und dazu ein dummes Missgeschick, etwas, worüber man sich nachher ärgern würde, wenn man es denn noch könnte. Ein tragisches Ende.
Ich für meinen Teil habe manchmal Angst vor einem langen Leben. Das sind Momente, in denen ich das Gefühl habe, mich rechtfertigen zu müssen für die Zeit, weil andere sie nicht hatten. Als fragte man mich aus dem Off: Du hast diese Zeit, aber was treibst du damit?

Was sind Deine aktuellen Projekte?
Ich arbeite an einem Gedichtband, der nächsten Frühling erscheinen wird. Ansonsten schreibe ich hin und wieder eine Erzählung, habe auch wieder eine Idee für ein längeres Werk, einen Roman, im Kopf.

Darf ich Dich zum Abschluss zu einem Akrostichon zu „Undine geht“ bitten?
Unverhofft stehen wir an diesem Punkt
Nicht Hand in Hand
Du hältst nichts vom Blick
Ins Grüne
Nicht Du, will ich sagen, sondern
Einer mit deinem Namen
Gegen den Ruf
Eine Schnecke im Haar
Hier schwemmt die Einsamkeit
Teichrosen an
Herzlichen Dank, liebe Lydia!

Station bei Undine_
Lydia Steinbacher, Schriftstellerin im Interview und szenischem Fotoportrait zu „Undine geht“.
„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.
2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Fotos_Donau_Wien.

Zur Person_ Lydia Steinbacher, geboren 1993, lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich, studierte Deutsche Philologie an der Universität Wien. Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung sowie des Literaturkreises Podium. Sie wuchs in Hollenstein an der Ybbs auf und sammelte schon früh Erfahrungen im Schreiben, u. a. im Rahmen der Schreibakademie Niederösterreich. Steinbacher ist Trägerin zahlreicher nationaler und internationaler Aufenthalts- und Literaturstipendien. 2017 sorgte ihr Lyrikband Im Grunde sind wir sehr verschieden (Limbus Verlag) für großes mediales Interesse, es folgte die Teilnahme am Poesiefestival Treci Trg in Belgrad. Ihre Erzählungen erschienen in zahlreichen Anthologien. Ihr Erzählband Schalenmenschen erschien 2019. Wolgaland (2022) ist ihr erster Roman.
http://www.septime-verlag.at/autoren/steinbacher.html
Aktueller Roman_

Lydia Steinbacher „Wolgaland“. Roman. 2022 Septime Verlag.
Gebunden mit Prägung, 240 Seiten
Preis:
24,00 € [D]
24,60 € [A]
ISBN: 978-3-99120-009-3
Auch als E-Book
http://www.septime-verlag.at/Buecher/buch_wolgaland.html
Interview und alle Fotos _ Walter Pobaschnig 8/2023