Undine geht _ „Der Monolg ist für mich ein Ruf, ein Weckruf“ Betka Fislova, Tänzerin _ Wien 5.8.2023

Betka Fislova, Tänzerin, Choreographin _
„Undine geht“.
Wien _ Alte Donau
Betka Fislova, Tänzerin, Choreographin _
„Undine geht“.

„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.

Betka Fislova, Tänzerin, Choreographin performing „Undine geht“

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Fotos_Donau_Wien.

Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.

Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.

Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Liebe Betka Fislova,wie liest Du den Text „Undine geht“ von Ingeborg Bachmann? Welche Grundaussagen gibt es da für Dich?

Mit „Undine geht“ tauche ich jedes Mal mit Neugier in die (Un-)Tiefen von Bachmann‘s Sprache ein. Getragen von der Leidenschaft und Präzision ihrer Worte, entdecke ich jedes Mal neue Aspekte und Nuancen, entdecke ein Stück von mir selbst – in der Hingabe, in der Wut, in der Klarheit, in der Zerrissenheit, in der Zärtlichkeit. Und in der Betroffenheit, mit der sie die Auswirkungen der in Rollenbildern erstarrten Machtgesellschaft auf den Lebensraum eines jeden Menschen zum Ausdruck bringt. Die Erzählung ist für mich ein Ruf aus den Tiefen der Existenz – ein Weckruf, ein Erinnern daran, dass wir alle „vom gleichen Geist sind“.

Wie siehst Du „Undine“?

Undine ist die Ahnende, die Ringende, die Hörende. Die Stimme einer Welt, die werden will, sich aus dem Urmeer der Existenz erhebend, in eine Freiheit des Miteinanders, der Verbundenheit, der Akzeptanz als elementare Treibkraft der menschlichen Evolution.

„Undine geht“ wurde vor gut 60 Jahren veröffentlicht. Was hat sich seit damals im Rollenbild von Frau und Mann verändert und was sollte sich noch ändern?

Es hat sich zweifellos v.a. im Westen Einiges in Richtung Gleichberechtigung bewegt; es sind neue Handlungsräume entstanden, die den traditionellen Rollenbildern entgegenwirken und die sowohl für Frauen als auch für Männer mehr Freiheit in der Lebensgestaltung bieten. Gleichzeitig ist nach wie vor spürbar, wie tief die Rollenbilder im kollektiven Unterbewusstsein verankert sind. Und hier wirkt eine wesentliche Dynamik – die des Traumas – auf der kollektiven, kulturellen, persönlichen und Generationsebene. Sie fragmentiert, verzerrt die Sicht und verhindert die Wandlung. Wir müssen ein breites Bewusstsein dafür schaffen, auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Und sichere Räume schaffen, in denen die Integration dieser Kräfte möglich ist. Das ist eine sehr praktischer, pragmatischer Prozess und auch keine Utopie mehr – es gibt viele Ansätze und Projekte rund um den Globus, die greifen und eine nachweisliche Wirkung zeigen.

Der Monolog geht mit der patriarchalen Gesellschaftswelt schonungslos ins Gericht. Wie siehst Du die Situation patriarchaler Macht heute?

Die patriarchale Gesellschaft basiert auf Überlebensangst und dem daraus resultierenden Bedürfnis nach Beherrschung und Ausgrenzung. Ein solches System hat einen hohen Energieaufwand, um sich selbst am Leben erhalten zu können. Es muss immer etwas verteidigt oder erobert werden. In seiner absurden Logik wird das Strategiespiel immer komplizierter und unüberschaubarer. Ein Spiel, in dem es keine echte Gewinner gibt.

Der Text drückt auch viel Trauer über das Scheitern der Liebe und eines Miteinander der Geschlechter im gesellschaftlichen Lebens aus. Welche Auswege siehst Du da?

Dazu fällt mir ein Zitat von Bern Kolb ein: „Erst wenn Frauen aufhören, Frauen sein zu wollen und Männer aufhören, Männer sein zu wollen, erwacht das Bewusstsein der Ganzheit.“

Was kannst Du als Frau und Künstlerin von „Undine geht“ in das Heute  mitnehmen?

Die Bereitschaft, immer wieder hinzuschauen und sich zu artikulieren. Den Mut zu einer großzügigen und mitfühlender Auseinandersetzung mit der Widersprüchlichkeit der Welt.

Was bedeutet Dir Natur?

Sie ist meine Kraftquelle und mein Anker.

Wie kann der moderne Mensch in Harmonie zur und mit der Welt leben?

Dazu braucht es das (Wieder-)Ankommen im Körper. Denn er ist der Ort der Defragmentierung.

Was braucht Liebe immer, um zu wachsen, blühen?

Neugier, Offenheit, Großzügigkeit, Feingefühl, Humor

Was lässt Liebe untergehen?

Erwartungen.

Wie war Dein Weg zum Tanz?

Als Kind und Jugendliche versteckte ich meinen Tanzdrang und lebte ihn heimlich aus – für mich allein im Zimmer tanzend und von der großen Bühne träumend. Ich erinnere mich an den Tag, als der Film „Chorus Line“ in unsere Kinos kam – es war ein Blitzschlag, eine Offenbarung! In der Trostlosigkeit meiner Jugendzeit hinter dem eisernen Vorhang waren Musik und Bewegung meine Rettungsringe. Doch schien der Traum, Tänzerin zu werden, unerreichbar und ich beschloss, Anglistik und Germanistik zu studieren. Mein Sprachstudium führte mich 1993 nach Wien; hier entdeckte ich den modernen Ausdruckstanz und dann war ich nicht mehr zu stoppen – es folgte das Studium der Tanzpädagogik am Konservatorium Wien, ein Stipendiumaufenthalt „Accademia Isola Danza“ in Venedig und viele erfüllende Jahre als Bühnentänzerin in Wien und in Italien. In dieser Zeit kam der argentinische Tango dazu – auch eine Art Offenbarung und ein besonderer Weg der Selbsterkenntnis, Bewegungspräzision und Präsenz.

Welche Berührungspunkte/Impulse mit/von Literatur gab es bisher in Deinen künstlerischen Projekten?

Die Wechselwirkung zwischen Wort und Bewegung ist bei mir sehr präsent und oft verwende ich Sprache in meinen Performances. Den Zugang finde ich vor allem über Gedichte, die einen eigenen Raum und Dynamik erschaffen. Ich habe eine Vorliebe für Haikus. Immer wieder schreibe ich die Texte selbst.

Welche Impulse gibt es von der Natur für Dich persönlich?

Bewegung. Stille. Rhythmus. Resilienz. Ekstase. Sinnlichkeit. Kreativität.

Was bedeutet Dir das Element Wasser?

Wasser ist für mich allgegenwärtig, ich nehme es um mich und in mir wahr. Es ist der Lebensraum per se. Wasser ist eine defragmentierende, vereinigende, heilende,befähigende Kraft – auch im menschlichen Körper. Ein Lebenlang treibt mich die Sehnsucht nach der Auflösung erstarrter Muster auf – in meinem (Tänzer)Körper und auch im Bewusstsein. Ein freies, fließendes, sinnliches Sein und Miteinander. Kein Wunder, dass die von mir entwickelte somatische Methode „Liquid Space“ heißt und die Verbindung mit der (Wasser)-Körperintelligenz fördert.

Wie lebst Du den Kreislauf der Jahreszeiten?

Ich liebe die Jahreszeiten und ihren zyklischen Rhythmus. Diese wiederkehrende Wandelbarkeit wahrzunehmen und anzunehmen gibt mir Kraft, Frieden und Perspektive. Ich erlebe mich in der Kontinuität des Lebens eingebettet und kann aus dieser Verbindung heraus mein Leben kreativ gestalten.

Welches Zitat aus „Undine geht“ möchtest Du uns mitgeben?

Wenn ihr allein wart, ganz allein, und wenn eure Gedanken nichts Nützliches dachten, nichts Brauchbares, wenn die Lampe das Zimmer versorgte, die Lichtung entstand, feucht und rauchig der Raum war, wenn ihr so dastandet, verloren, für immer verloren, aus Einsicht verloren, dann war es Zeit für mich. Ich konnte eintreten mit dem Blick, der auffordert: Denk! Sei! Sprich es aus!

Darf ich Dich zum Abschluss zu einem Achrostikon zu „Undine geht“ bitten?

Und

Nach

Dem

Innehalten

Noch

Einmal

Gewähren

Erleben

Hautnah

Tief

Herzlichen Dank, liebe Betka!

Betka Fislova, Tänzerin, Choreographin _
„Undine geht“.

Undine geht_

Betka Fislova, Tänzerin, Choreographin performing „Undine geht“.

„Undine geht“ Ingeborg Bachmann. Erzählung 1961.

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Alle Fotos_Walter Pobaschnig _ Donau_Wien.

Konzept/Regie _ Betka Fislova/Walter Pobaschnig

Interview und alle Fotos _ Walter Pobaschnig 8/2023

https://literaturoutdoors.com 8/2023

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