Liebe Sophia Lunra Schnack, der countdown für die Veröffentlichung Deines ersten Romans läuft. Am 23.August erscheint „feuchtes holz“ im Otto Müller Verlag.
Wie erlebst Du diese Tage jetzt, welche Vorbereitungen gibt es noch und wie gehst Du auf die Veröffentlichung zu?
Ich werde langsam richtig nervös, aber es ist eine positive Nervosität. Eine immer mehr Freude werdende Vorfreude, die sich mit ein bisschen Angst vermischt. Momentan arbeite ich noch an meinen Lesevideos, die in wenigen Tagen vom Verlag gepostet werden, also eines pro Woche. Und ich habe das erste Mal in meinem Leben das Bedürfnis, meine Wohnung richtig zu räumen, zu entrümpeln, zu putzen. Ich weiß nicht, womit das genau zusammenhängt (und es ist keine Reaktion auf den heurigen Bachmannsiegertext!); aber wohl damit, vor der Veröffentlichung noch ordentlich zu entschlacken. Ohne spirituell werden zu wollen, aber auch privat und familiär versuche ich das gerade so sehr wie noch nie. Die erste Veröffentlichung bewegt sehr unterschiedliche Lebensbereiche, damit hatte ich nicht gerechnet.



Wie kam es zum Thema des Romans und wie gestaltete sich der Schreibprozess?
Das Thema hat schon sehr lang in mir geschlummert, aber in völlig ungeschriebener Version. Als nicht materielle Präsenz, sozusagen. Ich habe dann in den 2010er Jahre ab und zu etwas notiert, aber wieder verworfen. Konkret habe ich mich dann im Dezember 2019 an das Thema herangeschrieben, mit dem Text „Crescendo, decrescendo“, der 2021 in den manuskripten erschienen ist. Im Februar 2021 habe ich dann begonnen den Roman zu schreiben. Innerhalb eines halben Jahres habe ich drei zweiwöchige Schreibaufenthalte für den Roman eingelegt, dabei ging es relativ schnell. Eben weil es schon so lang geschlummert hat, war es wie ein Loslassen, ein von-der-Leine-lassen.

Dein Roman „feuchtes holz“ ist eine Reise zu Kindheit, Erinnerungen, Familie, Menschen und Orten „bleibender Bilder“. Welche Bedeutung und Wirkmächtigkeit haben Orte für Dich?
Ich bin davon überzeugt, dass uns Orte genauso prägen wie Personen. Gerade dann, wenn wir sie mit Personen verbinden, mit denen wir dort waren. Ich spreche auch an einer Stelle von „Gesichtern einer Landschaft“: vertraute Gegenden, vor allem Gegenden der Kindheit, bekommen für mich fast menschliche Züge: da kann ein Gebäude einen schon ansehen, entgegenwerfen, wohin man sich verändert hat seit dem letzten Besuch. Und das ist dann auf jeden Fall ehrlich bis schonungslos. Oder ein Baum, der schon immer da war, um den hat man Angst, der darf auf keinen Fall verschwinden.

Was unterscheidet für Dich Erinnerung und Abschied?
Die Erinnerung ist eine Konsequenz von Abschied. Sobald eine Phase, eine Beziehung zu jemandem endet, ein Lebensort sich verschiebt, setzt Erinnerung ein. Ohne dieses Abschiedserlebnis, ist sie nicht notwendig, nicht möglich. Ich kann sehr schlecht mit Abschied umgehen, vor allem, wenn ich mich selbst dazu entschließen muss. Ich denke, es gibt auch zwei Arten von Abschieden. Einen, auf den man sofort mit dem Wunsch reagiert, alle Erinnerungen zu beleben, festhalten zu wollen, präsent zu halten, nichts zu verlieren. Und eine Form von Abschied, wo man versucht, versuchen muss, möglichst nicht präsent zu halten, nicht zu halten, zu vergessen. Erst wenn das Vergessen da gelungen ist, erinnert man sich wieder gern. Das wäre zumindest das aktive Erinnern, das für mich meist positiv besetzt ist; das passive überrumpelt, überfordert oft. Und kommt eher, wenn Abschied nicht wirklich stattgefunden hat.

Das Erinnern, Zurück-Gehen ist in Deinem Roman etwas sehr sinnlich Erfahrbares. Welche Bedeutung kommt dem Körper, den 5 Sinnen im Prozess des Erinnerns wie des Abschied-Nehmens, Weitergehens des Lebens zu?
Der Körper ist meiner Meinung nach immer schlauer und schneller als der Verstand. Ich schreibe und denke nicht primär rational, das Rationale entwickelt sich aus dem Sinnlichen, Körperlichen. So entsteht zwischen Erinnerung und Gegenwart auch etwas Organisches: die Erinnerung geht vom gegenwärtigen Körper aus, wird von Sinneseindrücken geweckt, dann aktiv aufgerufen und weitergesponnen. Bei einem einschneidenden Abschiedserlebnis, ist mein Denken Zuschauer der körperlichen Filme, Bilder in mir. Ich kann diese nur beschreiben und so Verbindung zu meinen Reflexionsprozessen herstellen. Dabei werden meine Gedanken über Geschehenes automatisch zu Gedanken über Jetziges, über Kommendes. Das heißt, es werden aus den körperlichen Filmen, dann dem aktiven Erinnern, letztlich Möglichkeiten von Gegenwart beziehungsweise Zukunft abstrahiert.

Erinnerung ist in Deinem Roman wesentlich mit dem Prozess des Fragens zur persönlichen Existenz, Sinn, Weg verbunden. Wie siehst Du diesen inneren Lebens-Dialog?
Ich glaube, dass wir die Grenzen zu Vergangenem manchmal viel zu strikt zeichnen, zeichnen wollen. Und wir damit etwas abwürgen, das aber Raum braucht. Dann staut es, bricht vielleicht einmal heraus, frisst jedenfalls Energie. Wenn das Vergangene seinen gegenwärtigen Raum bekommt, kann erst die Frage nach der eigenen Lebenslinie Sinn bekommen. Und Lebenslinie bedeutet, eine kontinuierliche Linie, die nicht so genau zwischen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft unterscheidet. Sie setzt sich immer fort, bricht nicht ab, beginnt auch nicht neu. Das funktioniert nicht. In diesem Sinne ist der Lebensdialog, von dem Du sprichst, immer ein erinnernder und Zeiten übergreifender.

Im Roman sprichst Du von „Schichten von Stille“ am Weg zurück. Welche Bedeutung hat Stille für Dich persönlich und als Schriftstellerin?
Ja, Schichten von Stille. Bei der erwähnten Romanstelle geht es darum, dass die Erzählerin sich erst an die Stille, die sie an ihrem persönlichen Erinnerungsort antrifft, gewöhnen muss. Schicht für Schicht erlegt sie die Stille zunächst, überfordert sie sogar. Bis sie sich in einer neuen Art von Geräuschkulisse einfindet. Eben der Geräuschkulisse, aus der Stille besteht. Beim Übergang von der einen zur anderen Wahrnehmungsebene gibt es einen kurzen Moment, wo sie meint, nichts zu hören. Und dann setzen diese Schichten von Stille ein: ein Wasserplätschern, ein Windhauch, ein Kiesel, der sich unter Zehen verschiebt. Diese Art von Stille, in der eine andere Art von Gehörsinn geweckt wird, brauche ich sehr stark für mein Schreiben. Sie hat auch mit gewählter Langsamkeit zu tun, die Töne nicht zielgesteuert filtern muss, sondern warten und dann alles nehmen darf.

Du verbindest in Deinem Roman verschiedene Textebenen, Prosa und Lyrik, in denen sich das Thema öffnet. Diese ganz spezifische Textform umfängt schon zu Beginn ganz intensiv und lässt begeisternd bis zum Ende nicht los. Wie kommt es diesem ganz besonderen Stil?
Das war keine bewusste Entscheidung, dieser Stil hat sich schon in den ersten Seiten aufgedrängt. Ich habe gemerkt, dass ich so viel mit Tempo, Verlangsamung und Beschleunigung spielen kann. Dass es mir manchmal zu schnell geht, Worte, die in einem Satz aneinandergereiht sind, untergehen, fast verschwinden können. Das wollte ich vermeiden. Das heißt, zu den lyrischen Passagen kommt es insbesondere dann, wenn es dem Text unmöglich wird, weiterzulaufen. Wenn eine Stimmung, ein Bild, ein Wort sich ausdehnen sollen. Sprache nachtropfen soll.

Wo wirst Du Deinen Roman demnächst vorstellen?
Die ersten Termine sind bei der Literaturmeile in Wien, im Stifterhaus in Linz und im Literaturhaus Wien. Meine Lesetermine werden übrigens alle auf der Verlagsseite von Otto Müller (Sophia Lunra Schnack | Otto Müller Verlag Salzburg (omvs.at)) und meiner Homepage (Lesungen (sophialunraschnack.com) ) regelmäßig aktualisiert.

Welchen Platz bekommt der erste Roman in der Wohnung einer Schriftstellerin?
Ich weiß gerade nicht, wie ehrlich ich jetzt sein soll. Momentan steht jedenfalls noch der Versandkarton mit den Freiexemplaren unter meinem Couchtisch, genau unter Mayröckers 1 Nervensommer. Mein persönliches Leseexemplar liegt gerade entweder am Nachtkästchen oder auf dem CD-Player. Und wird hoffentlich noch oft die Wohnung in seinem weißen Seidentäschchen verlassen!

Romanneuerscheinung „feuchtes holz“ 23.8.2023 Otto Müller Verlag
Liebe Sophia, vielen Dank für das Interview, viel Freude und Erfolg für Deinen wunderbaren Roman!
Der Debütroman „feuchtes holz“ von Sophia Lunra Schnack erscheint am 23. August 2023 im Otto Müller Verlag.

„feuchtes holz“ Sophia Lunra Schnack. Roman. Otto Müller Verlag
Veröffentlichung: 08/2023
ISBN: 978-3-7013-1308-2
320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Preis: € 26
E-Book: € 21,99
feuchtes holz
Zur Person_ Sophia Lunra Schnack (*1990) lebt und schreibt überwiegend in Wien. Sie verfasst Lyrik und (lyrische) Prosa, die bisher u.a. in den Manuskripten, in der Poesiegalerie, in Das Gedicht oder in den Signaturen publiziert wurden.
Ihre Texte rücken Materialität, Musikalität und Sensualität von Sprache ins Zentrum.
Die Autorin schreibt sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch. Immer wieder sucht sie eine klanglich-atmosphärische Annäherung zwischen beiden Sprachen.
2022 erhält sie den rotahorn-Förderpreis.
Im August 2023 erscheint im Otto Müller Verlag ihr Debütroman „feuchtes holz“.
https://www.sophialunraschnack.com/

Interview&alle Fotos Walter Pobaschnig
Walter Pobaschnig 8/23