Lieber Bernhard Setzwein, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Der war die letzten Wochen vor allem darauf abgestellt, meinen neuen Roman zum Abschluss zu bringen, was bei mir immer mit einer ziemlichen Konfusion einhergeht, zumindest in diesem Stadium. Ich bin dann nämlich im Tunnel, arbeite am Morgen, am Nachmittag, in die Nacht hinein, auch am Wochenende, das ich normalerweise respektiere und achte … am siebten Tage solltest du wahrlich ruhen. Aber nicht, wenn Du einen Roman fertig schreibst, dann geht das nicht. Alles drängt auf den Moment hin, da der Text in die Welt will. Ich weiß dann zwar überhaupt nicht mehr, was ich von ihm halten soll, die Distanz geht verloren, aber ein Zurück gibt es auch nicht mehr.
Diesmal handelt es sich um einen Roman über Franz Kafka, der mich schon mein ganzes Leserleben lang begleitet. Und wie schon im Fall von Nietzsche und Jean Paul wollte ich auch hier diese lebenslange Begleitung mit einem Buch abrunden. Es ist eine ziemlich verrückte Erzählung geworden, deren geringste Chuzpe vielleicht darin besteht zu behaupten, Franz Kafka sei 1924 gar nicht gestorben, sondern habe weitergelebt, den Krieg überstanden und sei schließlich als Kartenabreißer im Kino Apollo in Meran gelandet. Dort trifft er eines Tages zufällig den polnischen Autor Marek Hłasko, der in ihm eine Flut an Erinnerungen an sein früheres Leben auslöst. Gemeinsam starten sie mit einem gestohlenen Auto zu einer Art Roadmovie.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Besonnen bleiben, dem Gegenüber zuhören, die wirklich ernsthafte Bereitschaft, eine abweichende Meinung anzuhören, sie zu überdenken und danach (!) notfalls ruhig, standhaft, sachlich und mutig entgegenzutreten. All das ist mehr und mehr im Schwinden und die zunehmende Polarisierung, Aggressivität und das Herausbilden von total feindlichen Parallelwelten sehe ich als riesengroße Gefahr.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Eine immer geringere, leider, leider. Bücher, das bekommen wir ständig vorgeführt, verlieren rapide an Wert und Bedeutung. Zumal dann, wenn sie mehr darstellen als nur billige Unterhaltung. Aus meinem eigenen Leben und Lesen aber weiß ich: Literatur ernsthafter Provenienz – und ich will gar nicht mal die kafkasche Axt des Schreibens für das gefrorene Meer in uns bemühen – kann bei einzelnen Leser alles verändern, die Art, die Welt zu sehen, sich in ihr zu verhalten, sie kann helfen, Mitgefühl zu entwickeln zu allem, was mit uns zusammen auf dieser durchs All taumelnden Kugel kreucht und fleucht.
Was liest Du derzeit?
Die letzte Zeit, siehe oben, noch einmal sehr, sehr viel Franz Kafka. Ihn selber, andere über ihn, wobei ich vor allem Reiner Stachs dreibändige Biografie allen Interessierten wärmstens empfehle. Aber auch – Kontrastprogramm! – Jens Wonneberges „Weltliteratur. Kleine Prosa“, ein großartiger Autor, dem unbedingt mehr Leser zu wünschen wären.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Nachdem jetzt, siehe nochmals oben, zwangsläufig bei mir ein Verschnaufen kommt, eine Phase des Nichtschreibens fällt mir spontan dies ein: „Die wenigsten wissen, dass auch das Nichtschreiben die Frucht langer und mühseliger Arbeit ist.“ Anton Kuh
Vielen Dank für das Interview lieber Bernhard Setzwein, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:
Bernhard Setzwein, Schriftsteller
Zur Person_Bernhard Setzwein, geboren 1960 in München. Studium der Germanistik. Seit 1985 freischaffender Autor, lebt in Waldmünchen nahe der bayerisch-böhmischen Grenze und in München.
Neben seiner Tätigkeit als Autor von Romanen und Theaterstücken ist er ständiger freier Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks mit Features zu Kultur- und Literaturthemen, Beiträger verschiedener Zeitungen und Zeitschriften und Referent zu kulturellen und europäischen Themen.
Er ist Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS), des P.E.N.-Zentrums Deutschland und der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaft und Künste.
https://www.bernhardsetzwein.de/
Fotos_1 Petra Schoplocher; 2 Petra-Katharina Kurbjuhn.
13.6.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.