Lieber Wilfried Oschischnig , wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Jetzt gerade, schwitze ich … physisch und arbeitsmäßig. Wie immer bricht um diese Zeit bei den Leuten/Kunden die Sommerpanik aus, alles muss erledigt werden. Schnell, schnell, schnell … nach dem Juni gibt es kein Morgen mehr! (???) Und meine Sturheit kommt mir auch noch in die Quere: Der neue Roman soll ebenfalls wachsen, nicht nur die Kastanien vorm Haus und der Arbeitsberg am Bürotisch. Übrigens sind die Kastanien schon beängstigend groß und stachelig. Tja, in jedem Beginn liegt das Ende … auch beim Sommer.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
„Alle“ ist ein Begriff, der meine Kompetenz übersteigt, da geht selbst mein – leider viel zu häufiger – Hang zu Besserwisserei in die Knie. Aber falls wir „alle“ ein Sabbatical für die Menschlichkeit einlegen, wär’s bestimmt kein Schaden. Also für eine echte, respektvolle Menschlichkeit und kein windelweiches Gutmenschpalaver. „Tatenarm und gedankenvoll“, so hat Hölderlin angeblich seine Generation beschrieben – wie wär’s mit „gedankenvoll und tatenVOLL?“ Beim Klimaschutz, der Migration, den Menschenrechten, der sozialen Gerechtigkeit … um leider eine elendslange Aufzählung zumindest mit ein paar Schlagworten zu beginnen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Drei unverzichtbare Punkte zur Literatur und Kunst: Haltung, Haltung, Haltung! Und das zum Quadrat. Eine Literatur ohne Haltung ist nur ein sinnloses Piepsen. Auch wenn’s den Leserinnen und Lesern manchmal weh tut, auch wenn’s für die Autorinnen und Autoren keine Einladungen mehr zu politischen Sommerfesten mehr gibt, sich die angenehmen Streicheleinheiten plötzlich wie Schmirgelpapier anfühlen – ohne Haltung gibt es keine Literatur und Kunst. Jede und jeder muss sich nun entscheiden: Will ich zu den letzten, allerallerletzten freien Künstlerinnen und Künstler gehören – oder zum neuen „Anbiedermeier“?
Was liest Du derzeit?
Aktuell nur beruflich, leider – in ein paar Tagen allerdings gleich mehrere Krimis: die Zeugnisse meiner Kinder.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Weiß ja nicht einmal, ob in Österreich noch das Klimaschutzgesetz vor dem endgültigen Klimawandel kommt.
Vielen Dank für das Interview lieber Wilfried, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Wilfried Oschischnig, Schriftsteller, Journalist
Foto_Reinhard Gessl
21.6.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.