Liebe Katja Richter, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Wer mit Kindern unter einem Dach lebt, weiß: Planmäßig läuft oft nichts! Meine Kreativzeit kann ich mir aber vormittags, wenn alle ausgeflogen sind nehmen und nochmal am späten Abend. Da ich ohnehin eine Nachteule bin, -also gewissermaßen nachtaktiv-, findet man mich in der Regel nach Einbruch der Dunkelheit noch am Schreibtisch beim Arbeiten. So entstand übrigens auch der Hashtag #nachtsamschreibtisch, den ich oft für meine social media Beiträge benutze. Ansonsten hängt der Tagesablauf von allem möglichen ab.

Schriftstellerin, Künstlerin und Aktivistin
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Dass wir uns mit den herrschenden Verhältnissen und Missständen nicht abfinden dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass nichts so bleiben muss, wie es ist, nur weil es ja immer schon so war und „man“ nichts machen könne. Dort wo Unrecht geschieht kann jede und jeder Einzelne seine Stimme erheben, sich einmischen und das Schweigen durchbrechen. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wie wir uns eine gemeinsame Zukunft vorstellen, was wir uns für unsere Kinder und künftige Generationen wünschen. Wenn nur wenige Menschen mehr besitzen, als der ganze Rest der Menschheit zusammen und nach wie vor Menschen auf diesem Planeten verhungern müssen, während wir Tonnen von Essen für den Müll produzieren und wertvolle Ressourcen zerstören, dann müssen wir uns doch fragen, ob wir uns in dieses vermeintliche „Schicksal“ weiter fügen wollen? Wenn Menschen unter widrigsten Bedingungen arbeiten müssen und trotzdem ihr Leben nicht in Würde bestreiten können, ihren Lebensabend in Armut verbringen, dann wirft das Fragen auf, denen wir uns stellen müssen. Wir werden auf diesem Planeten als Menschheit keine lebenswerte Zukunft haben, wenn wir nicht endlich begreifen, dass wir so nicht weitermachen können. Wir brauchen Utopien und jede/r von uns, ist ein Werkzeug, um diese mit Leben zu füllen. Eine pluralistische Gesellschaft ist nichts Selbstverständliches, sondern etwas, das wir uns täglich neu erarbeiten müssen und das gerade in diesen Zeiten. Zivilcourage darf uns nicht abhandenkommen, Hass und Hetze müssen wir etwas entgegensetzen können.
Besonders wichtig für uns alle, ist, sich nicht mundtot machen zu lassen. Aus dem Blick verlieren dürfen wir besonders eins nicht: Zementierte Meinungskorridore, die leider auch durch die monotone Kakofonie in der Medienlandschaft gefestigt werden, machen eine fruchtbare Diskussions -und Streitkultur unmöglich. Diese brauchen wir aber dringend, denn wir müssen als gesamte Gesellschaft miteinander im Gespräch bleiben und uns nicht in einer Spirale des Schwarzweißdenkens selbst beschneiden. Das ist, zugegebenermaßen, nicht immer einfach in diesen Tagen. Doch wenn wir uns trotz der Unbequemlichkeiten und Anstrengungen diesen Herausforderungen nicht zu stellen bereit sind, werden wir nicht nur den Kampf um eine offene Gesellschaft verlieren.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?
Essentiell bleibt, inwieweit jede/r Einzelne von uns bereit ist, sich in aktuelle Debatten einzumischen, auch mal Gegenwind in Kauf zu nehmen und einen Beitrag hin zu einer gerechteren, solidarischeren Gesellschaft zu leisten. Wesentlich für mich ist aktuell besonders, dass wir die Lehren aus zwei barbarischen Weltkriegen mit all den zig Millionen Toten, nicht in Vergessenheit geraten lassen. Für den Frieden einzutreten in Zeiten des Friedens ist eine Sache, in Zeiten(wenden) wie diesen Zweifel laut zu äußern und die Stimme gegen eine Militarisierung zu erheben, eine andere. Während in einem reichen Land wie Deutschland noch immer nahezu jedes fünfte Kind in Armut leben muss, werden jetzt Milliarden über Milliarden in Aufrüstung investiert. Geld, das dringend an anderer Stelle gebraucht wird. Z.B. auch im Kampf gegen Klimawandel oder den weltweiten Hunger, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Nicht zum ersten Mal in der Geschichte, werden Pazifisten verunglimpft, gedemütigt und öffentlich an den Pranger gestellt. Ein Umstand, den ich nicht hinnehmen kann und will! Diesem Thema widmen sich meine Texte und Bilder daher immer wieder.
Die Rolle der Kunst ist da für mich eine ganz Klare: Kunst kann und darf nicht zur Dekoration verkommen oder zum hippen Lifestyleaccessoire. Kunst muss in meinen Augen immer auch der Stachel im Fleisch einer Gesellschaft und ihrer Mächtigen und Reichen sein. Die Kunst ist den Herrschenden oftmals ein Dorn im Auge und an zu vielen Orten auf der Welt, werden unbequeme Schriftsteller und Schriftstellerinnen oder Kunstschaffende und ihre Werke als Erstes aus dem Weg geräumt, wenn man die Massen und ihr Denken lenken will. Sie werden eingeschüchtert, diskriminiert, eingekerkert oder gar ermordet. Wer den Mächtigen den Spiegel vorhält, Finger in Wunden legt oder sie demaskiert, der ist schnell erledigt. Künstler und Künstlerinnen sollen keinen Einfluss auf die Menschen haben, sie nicht weiter ins Grübeln oder gar in Aufruhr bringen. Was wäre mehr Beweis für die starke Strahlkraft von Kunst und Literatur auf die Menschen? Auch Kultur ist der Kitt der eine Gesellschaft zusammenhält. Etwas, das wir aus den Lockdowns gelernt haben sollten!
Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass Kunst allen gesellschaftlichen Schichten zugänglich gemacht werden muss. Kunst und Kultur sind nach wie vor auch etwas, das man sich schlicht leisten können muss. Ob Theater -oder Museumsbesuche oder die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen verschiedenster Art: Die Kunst -und Kulturlandschaft muss so gefördert werden, dass es auch umfassende Angebote für Menschen mit kleinem Geldbeutel geben kann. Kunst findet zu oft -nach wie vor-, in einem elitären Dunstkreis statt. Die Kunst hat unglaubliche Möglichkeiten Menschen auf verschiedenste Art und Weise zu erreichen, zum Nachdenken anzuregen und zu aktivieren. Ihre Sprache ist universell! Dabei überwindet sie Grenzen und Schranken und kann wie kaum ein anderes Element Menschen und ihre Kulturen miteinander verbinden. Doch Kunst schafft nicht nur Räume, sie braucht auch Räume jenseits von elitären Blasen, die lediglich einem kleinen Kreis vorbehalten sind. Ich bin mir sicher, da wo Menschen im Kollektiv Kunst zelebrieren oder sogar schaffen, entsteht fruchtbarer Boden für Vielfalt und Toleranz. Darum ist die Kunst an sich ein nicht zu unterschätzendes, essentielles Werkzeug im Kampf für eine offene und freie Gesellschaft.
Ich war in letzten Jahren auch als politische Aktivistin immer wieder auf Kundgebungen, Demos oder Mahnwachen unterwegs, sprach zu den Menschen auf der Straße und spürte hautnah, wie die Verunsicherung der Menschen wuchs. Inzwischen glaube ich vor allem an die positive Kraft von Kunst und Sprache. Und ja, auch persönlich stehe ich vor einem Aufbruch. Ich habe mich konsequent, bedingungs- und ausnahmslos meiner kreativen Arbeit verschrieben und werde dies auch weiterhin tun, solange es mir möglich ist.

Was liest Du derzeit?
Zur Zeit setze ich mich kritisch mit dem viel diskutierten Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch auseinander. Parallel lese ich gerade eine Biographie über George Grosz.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Kunst ist Widerstand!

Schriftstellerin, Künstlerin und Aktivistin
Vielen Dank für das Interview liebe Katja Richter, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Katja Richter, Schriftstellerin, Künstlerin und Aktivistin
Zur Person_Katja Richter, Schriftstellerin, Künstlerin und Aktivistin, geboren 1979 im saarländischen Merzig.
Sie schreibt seit ihrer Jugend gesellschaftskritische Texte und setzt sich immer wieder künstlerisch mit den Themen ihrer Zeit auseinander. Ihr Augenmerk richtet sich dabei besonders darauf, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und mit ihren Bildern und Gedichten ein Stachel im Fleisch der Mächtigen zu sein.
Insbesondere Themen wie Krieg, Armut und Flucht, aber auch der Umgang mit den Menschen am Rande der Gesellschaft, sind immer wieder Triebfeder für ihre kreativen Arbeiten und liegen ihr besonders am Herzen. Stets wirft sie Fragen auf nach der Zukunft eines gesellschaftlichen Miteinanders. Dabei stellt sie die herrschenden Zustände und Machtverhältnisse ins Schlaglicht, um Diskussionen und Denkanstöße zu forcieren, hin zu einem Nach -und Umdenken. So auch in der „eXperimenta“, dem Magazin für Literatur, Kunst und Gesellschaft, das seiner Leserschaft in diesem Jahr monatlich ein Bild der Künstlerin präsentiert.
Sie lebt mit ihrer Familie im Saarland, wo man sie auch wandernd auf einer der zahlreichen Traumschleifen, bei ihrer kreativen Arbeit oder immer mal wieder auf einer Kundgebung, Demo oder Mahnwache antreffen kann. Nach verschiedenen ehrenamtlichen Engagements in den letzten Jahren, konzentriert sie sich derzeit vor allem auf ihre kreative Arbeit an ihren Bildern und Texten. Aktuell arbeitet sie an ihrem ersten Gedichtband.
Website: WWW.katja-richter.net
Fotos_Katja Richter
13.6.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.