„Einander wahrnehmen, sich selbst als Teil des Ganzen wahrnehmen“ Sonja Browne, Tänzerin _ Wien 18.6.2023

Liebe Sonja Browne, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich stehe sehr früh auf, wenn noch niemand sonst wach ist, und ich in Ruhe Kaffee und Gedanken fließen lassen kann, schreibe Texte, bereite mich vor.

Dann: Projekt(mit)arbeit (derzeit ein tanzhistorisches Projekt).

Recherchieren.

Trainieren.

Unterrichten (Improvisation)/Proben mit meiner inklusiven Tanzcombo danse brute (nicht jeden Tag).

Abends Zeit mit meinen Lieben verbringen.

Früh beim Lesen Einschlafen.

Aber eigentlich ist jeder Tag anders…

Sonja Browne, Tänzerin _
Am Foto: Violetta Höhn und Sonja Browne

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Einander wahrnehmen, sich selbst als Teil des Ganzen wahrnehmen, für sich selbst und was man denkt und tut Verantwortung übernehmen. Etwas über die Welt lernen, was war („Lernen Sie Geschichte“), was ist (Nachrichten lesen, schauen usw.). Weniger kaufen, mehr wiederbenutzen, etwas verschenken, um etwas bitten, klar kommunizieren. Zuhören.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Aufbruch, Neubeginn: Auf die Umwelt bezogen, wir können natürlich alle beitragen, aber was eigentlich getan werden muss, ist Druck auf die großen Player ausüben, die die Menschlichkeit und die Natur dem Mammon opfern, weil sie persönlich die Folgen nicht tragen müssen, sondern Generationen danach. Druck ausüben heißt: lernen, sich eine Meinung bilden, nicht kaufen, boykottieren, wählen. Sich zusammenschließen.

Auf den weltweiten Rechtsruck, Fremdenfeindlichkeit, Verschwörungsglaube, Homophobie, etc. bezogen: BILDUNG! Reden, denken lesen, in Austausch treten. Bildung! Sich zusammenschließen.

Was wird wesentlich: Erkennen, wo statt gleichwertigem, partnerschaftlichem Miteinander (das gilt auch für nichtmenschliche Partner*innen) Muster der Dominanz wirken und unterstützt werden. Das nicht zulassen: Niemand ist wichtiger als jemand anderer, alles Teil eines Netzwerks.

Das ist aber jetzt nichts Neues, und trotzdem eine Einstellung, die ich für einen Neubeginn (ist da einer?) für hilfreich halte.

Theater/Schauspiel /Kunst sind automatisch (da situiert in der jeweiligen Zeit/Welt) Reflexion, Reaktion, aber nicht für politische Zwecke oder zur Belehrung instrumentalisierbar, wenn es Kunst bleiben soll.

Politisch ist eher die Art, wie, mit wem, für wen man arbeitet, auf was man sich bezieht.

Was liest Du derzeit?

Raphaela Edelbauer, „Die Inkommensurablen“ und Didier Eribon, „Gesellschaft als Urteil“.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Sie werden sich langweilen, wenn Sie nicht angesprochen sein wollen“ (Handke, Publikumsbeschimpfung)

Vielen Dank für das Interview liebe Sonja, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Tanz-, Kunstprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:

Sonja Browne, Tänzerin

Zur Person_Sonja Browne
geboren in Wien. Private Tanzausbildung, Studium der Sozialarbeit und
der Theaterwissenschaft. Tänzerin bei Editta Braun, Willi Dorner, Hubert
Lepka, Olivier Gelpe. Unterrichtstätigkeit und Tourneen in Deutschland,
Frankreich, Japan, Ungarn, Luxemburg, Schweiz, Ecuador. Gründung der
beiden inklusiven Tanzensembles danse brute (1999) und tanzMontage
(2013). Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Tanz-Archiv Wien/MUK unter
der Leitung von Dr. Andrea Amort. 

www.sonjabrowne.at

Foto_Nick Mangafas

27.3.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

Hinterlasse einen Kommentar