Bachmannpreis 2023 _ „dass die Autorinnen und Autoren am Rande des Literaturbetriebs stehen“ Mario Wurmitzer, Schriftsteller _ Wien 15.6.2023

Bachmannpreis 2023   

Station bei Bachmann_ Interview:

Mario Wurmitzer, Schriftsteller _ Wien _ nominiert Bachmannpreis 2023

Mario Wurmitzer, Schriftsteller 

Lieber Mario Wurmitzer, Schriftsteller, nominiert Bachmannpreis 2023,  herzliche Gratulation zur Nominierung und herzlich Willkommen hier am Wohnort Ingeborg Bachmanns in Wien (1946-49)!

Ingeborg Bachmann Rom 1962 :_
Foto Heinz Bachmann
Beatrixgasse Wien Wohnung von Ingeborg Bachmann
Mario Wurmitzer, Schriftsteller 
am Wohnort von Ingeborg Bachmann _ Wien, Beatrixgasse

Am 24.Mai wurden die Nominierten für den Bachmannpreis 2023 vorgestellt, was hat sich seither für Dich verändert?

Es gibt mehrere Interviewtermine wie diesen und ich bekomme vermehrt Gesprächsanfragen.

Persönlich gewöhne ich mich mehr und mehr an die Vorstellung, dass ich wirklich teilnehmen werde. Ich war noch nie vor Ort beim Bachmannpreis in Klagenfurt, habe es bisher im Fernsehen verfolgt, und bin gespannt, wie es sein wird, wenn man selbst bei diesem Literatur-Event dabei ist.

Wie kam es zur Idee und dem Text Deiner Teilnahme?

Ich habe den Text Ende des Jahres 2022 geschrieben, nicht mit der Idee einer Einreichung zum Bachmannpreis. Als der Text dann fertig war, dachte ich, dieser hätte jetzt ungefähr die passende Länge für den Wettbewerb in Klagenfurt. Ich fragte dann meinen Verleger Jürgen Lagger vom Wiener Luftschachtverlag, ob er sich vorstellen könnte, eine Empfehlung zu schreiben – wenn er das abgelehnt hätte, dann hätte ich es auch gelassen – aber es hat geklappt mit der Empfehlung und der Einreichung.

Was machte für Dich formal und inhaltlich den Text zu einem „Klagenfurt – Text“?

Einerseits geht es um die Textlänge, die den Vorgaben entsprechen muss und anderseits ist es inhaltlich ein Text, der sich mit der Gegenwart und deren Fragen auseinandersetzt. Etwa aktuellen Wohnverhältnissen und mentalen Problematiken. Mehr darf ich nicht verraten.

Bleiben wir bitte noch etwas bei den formalen Kriterien eines Einreichungstextes. Welche Vorgaben gibt es da?

Der Text hat die Vorgabe, dass sich ein Vorlesen innerhalb von 25 Minuten ausgeht. Das sind grob gerechnet maximal 10 A4 Seiten.

Und der Text muss unveröffentlicht und auch nicht schon bei anderen Wettbewerben, Preisen eingereicht sein. Es muss ein neuer Text sein.

Es ist also die Leselänge aber nicht die Zeichenzahl (Buchstabenzählung) vorgegeben?

Ja, nur die Lesezeit, Lesedauer ist vorgegeben.

Das Publikum hört ja größtenteils die Texte, daher ist es wichtig, die Lesung gut über die sprichwörtliche Bühne zu bringen.

Ich bin kein großer Performer. Ich werde mich bemühen, den Text möglichst gelassen vorzutragen. Das sagt sich jetzt leichter, als es dann ist. Aktuell bin ich nicht allzu nervös, aber ich glaube, das kommt dann vor Ort im TV-Studio, die ja auch Arena genannt wird (lacht). Das man dann noch ganz ruhig bleibt, glaube ich nicht. Aber das ist ja ok.

Gibt es bestimmte Rituale, die Du für solch besondere Präsentations-, Lesesituationen hast?

Nicht wirklich. Ich finde Musikhören immer sehr entspannend, aber das geht wohl nicht unmittelbar davor (lacht).

Ich denke, man muss sich dann mit der eigenen Nervosität auseinandersetzen und sich dieser stellen und sich sagen  – „Ich mache es halt jetzt trotzdem“.

Bei „normalen“ literarischen Lesungen bin ich nicht allzu nervös, ich habe da eine Haltung entwickelt, mit der ich da herangehe, aber das TV setting in Klagenfurt ist natürlich schon speziell.

Wie bereitest Du Dich jetzt auf die Lesung auch hinsichtlich der Zeitlänge vor? Liest Du den Text wiederholt mit der Stoppuhr?

Mein einladender Juror, Philipp Tingler, fragte mich, ob ich das schon gemacht hätte. Ja, einmal habe ich die Zeit gestoppt.

Ich habe in den letzten Jahren die Texte der Autoren:innen gelesen und da natürlich schon gesehen, wie die Textlänge konzipiert ist.

Wie war der formale Prozess Deiner Einreichung? Wie wird eine Einreichnung an die Juroren:innen formuliert?

Zunächst ist die Empfehlung von einem Verlag oder einer Literaturzeitschrift Voraussetzung. Ich kannte keine Juroren:innen und daher schickte ich den Text an alle. Es wurde mir auch von Autoren:innen gesagt, dass dies durchaus üblich ist und man das so machen kann. Philipp Tingler hat sich dann gemeldet.

Die Formulierung der Einreichung war unspektakulär – ein, zwei Sätze und das Beilegen von Text und Empfehlung.

Wann war Deine Einreichung und wann hast Du die Rückmeldung bekommen?

Die Einreichung war kurz vor Einsendeschluss Ende Februar des Jahres und zwei, drei Wochen danach habe ich den Anruf von Philipp Tingler bekommen, dass ich eingeladen bin.

Wie gehst Du jetzt auf den Wettbewerb zu? Wie sieht Deine Vorbereitung aus?

Ich versuche wie gesagt entspannt zu bleiben und mir auch zu sagen, dass mir in Klagenfurt Begegnungen mit Menschen, die sich für Literatur interessieren wichtig sind und nicht die Konkurrenz zu Kollegen:innen – so möchte ich es nicht sehen.

Historisch gesehen, gibt es ja viele Teilnehmer:innen, die nicht gewonnen haben und trotzdem eine tolle Laufbahn hatten und haben. Es hängt also nicht alles daran, wie es dann vor Ort im Wettbewerb selbst läuft.

Es sind jetzt keine besonderen Trainingseinheiten für Klagenfurt, weder im Schauspielerischen noch im mentalen Bereich, geplant (lacht). Ich werde versuchen diese Wettbewerbswoche, in aller Anspannung, auch vor Ort genießen zu können.

Mit welcher Erfahrung, welchem Erlebnis möchtest Du vom Bachmannpreis zurückkehren?

Ich hoffe, dass ich viele interessante Leute kennengelernt habe, Autoren:innen, Leute aus dem Literaturbetrieb, aus dem Publikum.

Das Spannende am Bachmannpreis ist ja seine Strahlkraft über den Literaturbetrieb hinaus. Es gibt ja Preise in der Literatur, die nur mehr intern eine Bedeutung haben, aber beim Publikum nicht mehr ankommen. Beim Bachmannpreis ist das anders und ja das Schöne, das er beim Publikum ankommt und damit eben weit ausstrahlt.

Was macht für Dich die Strahlkraft des Bachmannpreises aus?

Im Grunde so etwas wie hier jetzt, dass es eine Berichterstattung darüber gibt, dass die Kulturzeitungen im deutschsprachigen Raum darüber berichten und dass es wirklich eine Auseinandersetzung mit den Texten gibt und dass die Texte auch ein Publikum finden, dass ist ja nicht so selbstverständlich.

Wenn man in einer Literaturzeitschrift publiziert, ist es schon oft fraglich, wie viele Menschen dies tatsächlich lesen und ob es Reaktionen gibt.

Es geht ja darum der Literatur Aufmerksamkeit zu verschaffen, dies ist ein hehres Ziel. Und das schafft der Bachmannpreis.

Dein in Kooperation entstandene Theaterstück „The secret Bubble“ (Text: Mario Wurmitzer, Barbi Marković, Thomas Arzt – Inszenierung von Susanne Draxler) hatte im Dezember 2022 im Werk – X Petersplatz Wien Premiere. Wie viel „Secret Bubble“ ist denn im Literaturbetrieb?

Spannende Frage. Ich kann darüber wahrscheinlich wenig sagen, weil ich da ganz am Rand stehe.

Mir kommt grundsätzlich vor, dass die Autorinnen und Autoren am Rande des Literaturbetriebs stehen. Ich weiß da einfach zu wenig. Die Leute, die ich kenne, sind aber ganz nett.

Wo siehst Du den Standort von Literatur im Leben?

Literatur, und Kunst generell, kann Reflexionsräume eröffnen, Denkprozesse anstoßen und Empathie fördern, indem man sich in Figuren hineinfühlt. Ich denke, wenn dies sich wiederholt, entwickelt man sich auch als Mensch weiter.

Im besten Sinne kann Literatur Empathie verstärken, Solidarität fördern und die Wirklichkeit in Frage stellen. Dass man nicht sagt „es muss alles so sein, wie es ist und damit finde ich mich ab und damit ist es gut“, sondern, dass man sich sagt „ich denke darüber nach, was sich ändern könnte, was könnte anders sein.“

Siehst Du die Literatur als Impulsgeber oder auch als gesellschaftliche Avantgarde, die vorangeht im Prozess von Veränderung?

Beides. Es kann sehr viel mittels Literatur angestoßen und ausgelöst werden – etwa durch Kim de l’Horizon „Blutbuch“, da wird gesellschaftlich etwas in Gang gesetzt – oder auch bei Stücken von Thomas Bernhard, die wirklich etwas auslösten.

Literatur ist beides, Impuls und Avantgarde von Veränderung, das ist die ehrlichste Antwort.

Was ist Dir in Deinem Schreiben wichtig?

Ich möchte in meinem Schreiben, die Wirklichkeit nicht nur abbilden, sondern irgendetwas damit machen. Wenn ich zeigen will, wie sieht dieses Haus, wie sehen diese Leute aus, dann ist vermutlich der Dokumentarfilm das geeignete Medium. In der Literatur habe ich die Möglichkeit mittels Sprache die Wirklichkeit zu formen, zu verändern und gewisse Grenzen zu überschreiten, die ich sonst in der Realität nicht überschreiten kann. Ich kann in der Literatur Tote zum Leben erwecken, wenn ich will (lacht). Das ist sehr spannend.

Ich finde es auch wichtig, es sich beim Schreiben nicht zu einfach zu machen, dass man auch gewisse Uneindeutigkeiten, Ambivalenz zulässt, dass man einfache Antworten vermeidet. Der ehemalige Bundeskanzler Sinowatz sagte ja einmal „es ist alles sehr kompliziert“ und darüber regten sich Leute auf, denn das mag man nicht, aber meistens ist es kompliziert. Komplexitäten sollten sich auch in Texten wiederfinden.

Sprache und Form sind zentral für mein Schreiben. Ich würde sagen, dass der sprachlich-formale Aspekt den inhaltlichen tendenziell übertrifft.

Jeder Inhalt kann mitreißend, fesselnd erzählt werden oder eben nicht. Eine Autofahrt von Wien nach Zürich kann mitreißend geschildert werden, wie genauso ein Kuraufenthalt – der „Zauberberg lässt grüßen“. Ich finde, dass inhaltliche Thema ist oft nicht so wichtig, sondern die Frage nach den sprachlichen Mittel, mit denen ich das Thema in Angriff nehme.

Bundeskanzler Sinowatz (österreichischer Bundeskanzler 1983-86, Anm.) meinte seine Aussage „es ist alles sehr kompliziert“ eher resignativ. Wie gehst Du als Schriftsteller mit Komplexität, der Komplexität der Zeit um?

Wie gehe ich mit der Komplexität der Welt um? Ich schreibe.

Der Antrieb zu schreiben, oder überhaupt Kunst zu machen, ist auch einer vielleicht mit Manchem klarzukommen, es zu ordnen, oder sich zumindest damit auseinander zu setzen.

Schreiben ist eine Haltung zum Leben – immer wieder zu schreiben.

Wenn man kontinuierlich schreibt – nicht nur einen Text und dann fünf Jahre nix – ist es schon auch eine Haltung, die man zur Welt einnimmt.

Ingeborg Bachmann spricht ja im Roman Malina von einer Utopie für Mensch und Welt „ein Tag wird kommen“, wie siehst Du Deine Haltung zur Welt als Schriftsteller?

Man sollte versuchen, menschenfreundlich und empathisch zu bleiben. Das ist natürlich nicht einfach, wenn man die Zeitung liest und sieht was geschieht und dann vielleicht verbittert, wütend oder resigniert wird.

Ich halte auch die Gleichgültigkeit, das Schulterzucken für gefährlich, dass man sagt „ja, ist halt jetzt Krieg, die Kinderarmut steigt, 15% der Menschen können die Heizkosten nicht zahlen“, und es geht einem nicht mehr nahe. „Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer, es halt so, was soll man machen…“, ich sehe diese Lethargie als Gefahr, dass man es als gegeben und unveränderlich nimmt, dagegen muss man auf der individuellen wie gesellschaftlichen Ebene ankämpfen. Denn es ist nicht unveränderlich.

Das ganze gesellschaftliche System ist von Menschen geschaffen und auch von Menschen veränderbar, wenn ich daran nicht glaube, ist auch eine künstlerische Tätigkeit schwierig.

Ich denke, man kann mit Kunst und Kultur gegen eine gewisse Gleichgültigkeit – Lethargie, Desinteresse – in der Gesellschaft angehen.

Literatur fördert Menschlichkeit und das Interesse für andere Personen. Dies setzt Literatur ja voraus, dass ich mich von den handelnden Personen im Text betroffen und gemeint fühle in ihren Lebenslagen. Diesen Schritt muss ich im Lesen vollziehen können.

Was sind für Dich Gründe für die Lethargie, Gleichgültigkeit in der Gesellschaft?

Man kann dies schon teilweise mit dem Wirtschaftssystem in Verbindung bringen, dass gewisse Narrative da sind – „wenn es jemand schlecht geht, wenn er arm ist, dann ist er selbst schuld“ –  die es schwer machen, Solidarität zu verbreiten. Es wird auf das Individuum reduziert, wenn es jemanden schlecht geht, sich die Miete nicht leisten kann, dann ist es ein persönliches Thema und es fehlt da ein Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Gibt es im Literaturbetrieb selbst Zusammenhalt, Solidarität?

Ich denke, es ist wichtig ein Konkurrenzdenken zu vermeiden. Wenn viele gute Bücher geschrieben, verlegt, gelesen werden, profitieren alle davon.

Es wäre furchtbar und absurd, wenn im deutschsprachigen Raum ein tolles Buch geschrieben wird, und ich beiße mir in die Faust.

Mit welcher Einstellung gehst Du persönlich an Deine Texte in Bezug auf Öffentlichkeit heran?

Wenn man literarische Texte schreibt und veröffentlicht, dann natürlich mit der Absicht, dass es Leserinnen und Leser findet. Wenn man das gar nicht möchte, würde man ja den Schritt des Veröffentlichen nicht tun.

Bei mir war es tatsächlich so, dass ich eine zeitlang geschrieben habe und nichts an Verlage, Zeitschriften verschickt habe, da passiert dann auch nichts. Es kommt niemand und holt die Texte ab, dass heißt, man muss diesen Schritt – ich möchte, dass diese Texte in die Welt kommen, dass sie gelesen werden – bewusst gehen.

Es wird ja teilweise gejammert, es gibt so viele Bücher, wer soll das alles lesen. Aber ich glaube, diese Vielfalt ist sehr zu begrüßen. Unsere Kultur lebt von dieser Pluralität. Es wäre ja traurig, wenn es wie im Filmbereich da nur drei Martktführer gibt und alles was da nicht reinpasst, kann nicht gemacht werden kann.

Der Literaturbetrieb ist ja doch recht divers aufgestellt und immer schon gewesen – etwa im Kleinverlagswesen – und es gibt die großartigsten, verquersten, schrägsten Sachen, das ist ja das Schöne daran.

Wie siehst, erlebst Du Dich als Schriftsteller im großen Raum zwischen Deinem Schreibtisch und dem Büchertisch in Buchhandlungen, der Lesecouch der Interessierten. Gibt es da viel Freiheit oder Vorgaben, denen Du nachgeben musst?

Mein letztes Buch (2018 „Im Inneren des Klaviers“. Roman, Luftschacht Verlag, Wien.) und auch das kommende („Es könnte schlimmer sein“, Juni 2023) sind ja beide beim Wiener Luftschacht Verlag erschienen und da ist der Austausch tatsächlich ganz großartig. Man überlegt gemeinsam wie man es am Besten machen könnte und ich werde in alle Entscheidungen mit einbezogen – die Titelwahl, die Verlagsvorschau, die Gestaltung des Covers. Nicht nur einbezogen, ich konnte das auch bestimmen. Es sind da auch sehr fähige Leute am Werk, sie lieben, was sie machen, und sie können es gut. Ich hätte auch noch nie gespürt, dass ein Thema forciert oder vorgegeben wurde – „Dies muss jetzt bearbeitet werden.“ Auch bei Theaterstücken nicht.

Ich finde, künstlerische Tätigkeit kann nur stattfinden, wenn man Freiräume zulässt. Ich könnte mir da auch nie vorstellen bei meinen Theaterstücken zu sagen, „dass muss jetzt „vom Blatt“ gespielt werden“.  Das ist ja gar nicht möglich. Es muss immer eine Form von Deutung, Zugriff erfolgen. Anders ist es für mich nicht vorstellbar. Und es braucht Leute, mit denen man gut zusammenarbeiten kann, aber das merkt man ja schnell.

Wie ist es für Dich persönlich, wenn ein Buch, ein Theaterstück von Dir seinen Weg zu Publikum, Rezension, Kritik und Rezeption geht?

Ich finde es immer sehr interessant, was im Text, im Stück gesehen wird, welche Einordnungen getroffen werden, Bezüge hergestellt werden, denn ich selbst habe ja keinen analytischen Blick darauf, wie in einer Rezension. Es ist oft überraschend, was da alles gesehen wird im Text und was in einer Inszenierung vom Team alles dazukommt, wie der Text auf der Bühne transformiert wird.

Mit welchen Textformen arbeitest Du und wie war Dein Weg zum Schreiben?

Ich schreibe Prosatexte und Theaterstücke.

Mit fünfzehn Jahren habe ich begonnen, mich für Literatur zu interessieren und verstärkt zu lesen – Brecht, Hesse, Kleist, Kafka – die Jugendliteratur so zwischen zehn und vierzehn Jahren hat mich nicht so angesprochen.

Ich habe mit fünfzehn Jahren begonnen sehr viel zu lesen und gleichzeitig auch zu schreiben. Der allererste Text, den ich geschrieben habe, wurde auch veröffentlicht – das ist jetzt gut oder auch schlecht (lacht). Der Text heißt „sechzehn“ und entstand in diesem Alter. Das Alter ist sicher die Stärke und die Schwäche dieses Buches. Ich musste einerseits nicht viel über die Charakterisierung der Person überlegen, anderseits ist man natürlich sprachlich noch nicht so avanciert. Es war auch nicht der Plan in diesem Alter ein Buch zu schreiben. Ich setzte mich hin und schrieb. Irgendwann dachte ich, das hat jetzt Buchlänge. Dann machte ich eine zeitlang nichts mit dem Text und nach so einem Jahr schickte ich es an mehrere Verlage und es ist dann bei einem Berliner Verlag erschienen („Sechzehn“ Mario Wurmitzer, 2010, Treibgut Verlag).

Als ich zu schreiben begann, war ein innerer Drang da, an Veröffentlichungen dachte ich zunächst nicht.

Woher dieser Drang zum Schreiben kam, kommt? Meine These ist, dass, wenn man ganz mit sich und der Welt im Reinen ist, setzt man sich nicht hin und macht Kunst. Man muss in der Kunst in ein Spannungsverhältnis zur Welt treten wollen, sonst gibt es den Grund zu schreiben nicht.

Theatertexte kamen beim Schreiben später hinzu, das war in der Studentenzeit, in der ich oft im Theater war. Es gibt auch einen auslösenden Text dazu – „Kasimir und Karoline“ von Ödon von Horvath. – den ich ganz, ganz großartig fand und der auch meinen Blick auf die Literatur nochmal verändert hat. Ich hatte den Wunsch, Dialoge so zu schreiben, Figurenrede und dann ist man beim Theater.

Ich schreibe Dialogstücke und es sind auch chorische Elemente darin – der Chor ist ein tolles Element am Theater mit großer Tradition.

Fühlst Du Dich in Deinen Stücken der österreichischen Dramatik, etwa Horvath, Bernhard und/oder der griechischen, deutschen Klassik verbinden?

Mir sind im dramatischen Schreiben alle Elemente wichtig. Ich habe in den letzten Jahren etwa gemerkt, welche Wucht die griechische Tragödie entwickeln kann und welch epochales Element ein Chor ist, welche Wucht dieser auf der Bühne in einer Handlung entwickeln kann. Ich mag auch alles Tragikkomische auf der Bühne gerne, denn meist hat ja Tragik auch Komik in sich – Horvath ist da ein Meister. Ich schätze auch Schiller, Kleist und natürlich moderne Stücke, etwa Wolfram Lotz – „die lächerliche Finsternis“ ist ein großartiges Stück.

Wir sind hier beim Wohnhaus von Ingeborg Bachmann. Welche Bezüge gibt es zum Schreiben Bachmanns?

Ich finde vor allem die Hörspiele großartig, natürlich habe ich auch Malina gelesen. Ein wunderbarer, ganz großer Roman.

Eine enorme Bewusstheit, was Sprache leisten kann, zeichnet das Werk Bachmanns aus. Es ist ein sehr sensibler, bewusster Umgang mit Sprache. Da ist kein Wort zu viel und keines zu wenig, gerade beim Hörspiel kommt dies dann auch im richtigen Ton zu tragen, der dermaßen treffend ist. Daher hat sie auch diesen Rang in der österreichischen Literatur.

Für mich ist auch Friederike Mayröcker in dieser Entfaltung einer Sprachgewalt sehr wichtig, etwa habe ich ihr Buch „ich sitze nur GRAUSAM da“ mehrmals gelesen, es ist einfach eine Textlawine und sie ist ja auch selbst in ihrer Wohnung gleichsam zwischen Textlawinen gesessen. Sie hat das im Werk im besten Sinne fortgesetzt mit Textgipfeln, die man erklimmen oder auch runterstürzen kann. Es gibt viele viele weitere Autorinnen und Autoren, die ich schätze und das wechselt auch stark. Rainer Götz ist etwa auch ein wichtiger Autor für mich.

Wie, wann schreibt Mario Wurmitzer? Wie sieht ein Schreibtag aus?

Ich schreibe oft abends, wenn niemand mehr anruft und etwas Ruhe eingekehrt ist. Jetzt merke ich, vielleicht weil ich schon etwas älter werde (lacht), dass ich nicht nur abends und die Nacht dann hindurch schreibe, sondern mitunter auch vormittags, wenn meine Tochter im Kindergarten ist, weil sich das einfach anbietet und gut möglich ist. Aber ich habe keine festen Schreibzeiten im Sinne von Thomas Mann, dass die Tür zugesperrt und die nächsten acht Stunden mit einer kleinen Teepause geschrieben wird.

Ich schreibe kontinuierlich und ich spüre, wenn ich längere Pausen habe, dass das Bedürfnis zu schreiben sehr stark ist. Wenn man schreibt, hat man ja oft das Gefühl, man könnte auch weniger schreiben und würde damit auch gut zurechtkommen. Und man merkt dann, wie es fehlt, was auch auf das Schreiben als Haltung zur Welt verweist.

Inspiriert Schreiben und Leben wechselseitig?

Ja, ich halte das für sehr wichtig. Ich darf ergänzen, dass ich auch an einem Gymnasium Deutsch und Geschichte unterrichte.

Ich habe einmal fast ein Jahr lang nur geschrieben, als freischaffender Autor, und habe gemerkt, dass mir das nicht so gut tut, weil es in Wahrheit viel Zeit allein, Zuhause am Schreibtisch bedeutet und ich auf die sozialen Kontakte im Alltagsleben nicht verzichten möchte.

Man bezieht Inspiration aus Erlebnissen, das lässt sich fast nicht vermeiden.

Alles was man liest, ist gut für das eigene Schreiben, egal ob man das gut gefunden hat oder nicht. Auch die Werbung, Nachrichten, social media, auch alles an Musik, Filmen, alles fließt in das Schreiben ein, das ist unvermeidlich.

Wie wichtig sind für Dich als Schriftsteller soziale online Plattformen?

Ich bin nicht auf sozialen online Plattformen wie facebook und instagram und anderen vertreten. Ich versuche tatsächlich mich da etwas rauszuhalten, auch weil ich tendenziell dann zu viel reinkippe (lacht), ich verbringe dann viel zu viel Zeit auf social media und ich merke, dass es mich nicht so zufriedenstellt, wenn ich mir immer diese Bildchen ansehe und mich da durchklicke. Ich stelle mir dann die Frage, was hat mir das jetzt gebracht? Das man danach nicht etwas erlebt hat oder zufriedener ist und es ist für mich einfach ergiebiger, wenn ich ein Buch lese, oder einen Film ansehe, Musik höre oder mich mit jemanden treffe. Ich weiß, dass es für Künstlerinnen und Künstler eine Präsentationsplattform ist, denn da erreiche ich „Follower“, aber da nehme ich in Kauf, dass ich die auf diesem Wege nicht erreiche.

Wurde Dir von Seiten des Verlages oder anderen im Literatur-, Theaterbetrieb nahegelegt, ein social media Profil zuzulegen?

Ich wurde da noch nie dazu aufgefordert. Natürlich wird bemerkt, dass man da nicht vertreten ist. Sicherlich wäre es hilfreich, hätte man 50 000 Follower auf Instagram, aber man muss das auch wollen. Man merkt, wenn jemand versucht, da etwas zu erzwingen, wenn es unauthentisch ist. Es gibt natürlich Leute, die das wirklich gut machen, etwa Sebastian Hotz, und der ist ja wirklich ganz lustig, aber so etwas muss man bespielen wollen und dann funktioniert das. Wenn man sich dazu zwingen muss, kann man es auch lassen. Das ist meine Meinung.

Du bist Schriftsteller und Pädagoge. Wie gehst Du in der schulischen Arbeit mit Texten um? Wie versuchst Du Zugänge zu Literatur zu eröffnen?

Ich finde, man muss Angebote machen, die Literatur präsentieren. Aber man kann natürlich niemand dazu zwingen, begeistert von einem Text zu sein. Es gibt Strategien, Techniken, mit denen man so gut es geht Interesse für Literatur zu wecken versucht. Das gelingt mal besser und mal schlechter.

Wie wurde an Deinem Arbeitsplatz in der Schule Deine Nominierung für den Bachmannpreis aufgenommen?

Positiv und bestärkend.

Gibt es schon einen Schul-Fanclub fürs Daumendrücken vor Ort oder dem Bildschirm?

Nein, ich versuche dies eher klein zu halten und mich nicht aufzudrängen. Ich erzähle auch im Normalfall nicht über die Uraufführung eines Theaterstückes oder das Einsenden eines Textes. Ich belästige da nicht Leute über Gebühr damit (lacht).

Was kannst von Ingeborg Bachmann zum Bachmannpreis bestärkend mitnehmen?

Bachmann war ja auch cool. Da ist dieses Vertrauen auf die Sprache, auf die Texte, auf die Literatur. Sie hätte sich vermutlich nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn jemand sagt, dass dies nicht gut ist.

Vielleicht auch die Erkenntnis, dass das Wesentliche die Sprache ist und dass Sprache die Wirklichkeit formt.

Was nimmst Du Dir in Klagenfurt um den Literaturmittelpunkt vor? Auf was freust Du Dich da?

Ich weiß es noch nicht. Es gibt viele Erzählungen von informellen Sachen, die es auch gibt, etwa das Wettschwimmen im Wörthersee, da weiß ich aber nicht, was ich davon halten soll, dass es ein Wettschwimmen zum Wettlesen geben muss und alles um die Wette sein muss (lacht).

Ich lass` es auf mich zukommen, auch was es alles an Rahmenprogramm gibt. Ich will mir natürlich viele von den Lesungen anhören, möglichst alle. Dann ist man ja schon gut verplant (lacht).

Welchen Wunsch hast Du an das Wettlesen in Klagenfurt?

Ich wünsche mir Begegnungen mit Leuten, die sich für Literatur interessieren. Und natürlich wünscht man sich auch eine zugewandte Form der Textauseinandersetzung. Wobei dies ist ja in den letzten Jahren auf menschenfreundlichen Niveau verlaufen. Diese Vernichtungen in der Kritik, die es etwa bei Jörg Fauser gab, das war schon hart an der Grenze, was man sich noch sagen lassen muss. Da ging es ja wirklich ad personam – „wie können sie einen Menschen so darstellen.“

Wirst Du auf eine Jurykritik antworten?

Ich habe es jetzt nicht vor. Man antwortet ja auch nicht auf Rezensionen.

Was macht für Dich eine gute Literaturkritik aus?

Dass man nachzuvollziehen versucht, welche Kriterien und Maßstäbe sich der Text selbst setzt.

Ich finde es immer schwierig, wenn man ein vorgefertigtes Muster im Kopf hat, wie Literatur sein muss. Dafür ist Literatur zu vielfältig, zu unterschiedlich, man kann nicht immer dasselbe Instrumentarium anlegen. Wenn ich einen Text von Friederike Mayröcker und einen von Peter Stamm habe, da kann ich nicht mit den gleichen Kriterien herangehen, das sind ganz unterschiedliche Formen, und da muss ich überlegen, welche Ziele setzt sich dieser Text selbst.

Das man wirklich den Text in den Vordergrund stellt und merkt, da hat sich wirklich jemand damit beschäftigt.

Wie gehst Du persönlich mit Kritik, Bewertung um?

Grundsätzlich finde ich es interessant zu hören, was im Text gesehen wird. Spannend, weil man es selbst ja nicht so einordnet und dan bekommt man diese Form des feedbacks.

Ich verfolge es interessiert, aber versuche mich natürlich nicht danach zu richten, das wäre verfehlt. Ich sehe es nicht als Kritik an mir, sondern an dem Text und der jeweiligen Sicht darauf.

Nimmt Deine fünfjährige Tochter Deine Teilnahme am Bachmannpreis auch wahr und drückt die Daumen? Gibt es auch schon Textinteresse beim Papa?

Es wird ihr sicher gefallen mich im Fernsehen zu sehen und sie wird das lustig finden (lacht). Ich lese meiner Tochter viel vor – Christine Nöstlinger, Mira Lobe – aber noch nicht meine Texte (lacht).

Lieber Mario Wurmitzer, herzlichen Dank für das Interview, gutes Ankommen in Klagenfurt und viel Freude und Erfolg beim Bachmannpreis!

Mario Wurmitzer, Schriftsteller 

Bachmannpreis 2023    Teilnehmer:innenvorstellung:

Mario Wurmitzer, Schriftsteller  _ Wien

Zur Person_Mario Wurmitzer lebt in Wien, wo er Germanistik und Geschichte studiert hat. Er schreibt Theater- und Prosatexte. Für seine literarischen Arbeiten erhielt er mehrere Auszeichnungen und Stipendien, u. a. den Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin 2015, den Jurypreis der schule für dichtung beim Kurzhörspielwettbewerb Track 5′ von Ö1 im Jahr 2016, das Dramatiker:innenstipendium des österreichischen Bundeskanzleramts 2017, den Osnabrücker Dramatikerpreis 2017, den Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich 2020 und den Hauptpreis beim internationalen Dramenwettbewerb „Science & Theatre“ des Theaters Heilbronn 2021.
2018 erschien sein Roman „Im Inneren des Klaviers“ und das Theaterstück „Nähe“ wurde am Theater Osnabrück uraufgeführt. „Das Optimum“, ein Auftragswerk für das Schauspielhaus Wien und das Theater KOSMOS in Bregenz, wurde im September 2019 uraufgeführt. Im Frühling 2023 wird das Theaterstück „Die Veredelung der Herzen“ am Theater Heilbronn uraufgeführt werden.

Homepage _ http://www.mariowurmitzer.at/vita/

Kommende Romanneuerscheinung _ „Es könnte schlimmer sein“ Mario Wurmitzer, Luftschacht Verlag

Anna arbeitet für Alpha Solutions, einen multinationalen Konzern, um den sich ein Kult gebildet hat. Die Liebe zum Unternehmen gilt als heilige Pflicht, Privatleben als altmodische Idee. Viele Mitarbeiter haben das Firmengelände noch nie verlassen. Als Anna einer Gruppe rebellischer Jugendlicher erklärt, sie könnten alles erreichen, wenn sie sich nur anstrengten, glaubt sie sich zum ersten Mal selbst nicht mehr. Sie hat genug von den Lügen, die ständig erzählt und wiederholt werden sollen. Zunehmend fällt es ihr schwer, auf das zu vertrauen, was sie denken soll. Ihr Freund Thomas kann das nicht nachvollziehen. Er hat sich damit abgefunden, dass alles ist, wie es ist. Den Wunsch, etwas zu verändern, findet er befremdlich. Und er ist sich sicher, sein Leben mit Anna verbringen zu wollen. Immerhin haben die beiden im Zuge des Partnervermittlungsprogramms von Alpha Solutions erfahren, füreinander bestimmt zu sein. Als sie sich von ihm trennt, begreift er nicht, wie es so weit kommen konnte.

Nüchtern und mit lakonischem Humor blickt Mario Wurmitzer in seinem zweiten Roman auf eine Welt im Jahr 2037, von der man sagt, es könnte alles noch schlimmer sein. Die Grenzen dessen, was möglich ist, haben sich ein Stück weit verschoben, aber nicht allzu weit.

„Es könnte schlimmer sein“ Mario Wurmitzer, Roman, Luftschacht Verlag, 256 Seiten

Hardcover € 24,00
ca. 12,8,X * 20,8 cm
ISBN 978-3-903422-34-6
ca. € 24.00 [D], € 24.00 [A]

auch als E-Book erhältlich
ISBN 978-3-903422-35-3

Mario Wurmitzer: Es könnte schlimmer sein

Bachmannpreis 2023 _ vom 28. Juni bis 2. Juli finden die 47. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt statt.

Interview&alle Fotos _ Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig  10.6.2023

https://literaturoutdoors.com

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