Lieber Tomas Schweigen, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Da meine Zeit als Künstlerischer Leiter am Schauspielhaus Wien gerade endet, ändert sich auch mein Tagesablauf momentan fundamental: In den letzten acht Jahren (und auch in den Jahren am Theater Basel davor) haben mein Terminkalender und To-Do-Listen meinen Tag bestimmt, meist auch an den Wochenenden. Jetzt werden meine Abläufe gerade spontaner, seit Freitag habe ich überhaupt Ferien. Das genieße ich sehr.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Unsere offensichtlichen Hausaufgaben zu machen, dabei aber den Spaß, die Lebensfreude und die Zuversicht nicht zu verlieren.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater, der Kunst zu?
Unsere Gesellschaften – nicht nur die österreichische – polarisieren sich bekanntlich zunehmend. Wir müssen mehr denn je versuchen, uns aus unserer Bubble hinauszubewegen und nicht nur für immer die gleichen Menschen Theater zu machen. Und wir dürfen politisches Theater nicht nur als Propaganda für „eh schon Überzeugte“ verstehen, sondern als Ausloten und Gegenüberstellen von diversen Perspektiven, Denkweisen und Standpunkten. Kunst kann Empathie, Toleranz und Neugier fördern. Das würde ich gerade für sehr gewinnbringend und wichtig halten.
Was liest Du derzeit?
Ich lese meistens Verschiedenes parallel – im Augenblick zum Beispiel T. C. Boyles „Blue Skies“ als Ferienlektüre und das kürzlich erschienene Gespräch zwischen Édouard Louis und Ken Loach über Kunst und Politik.
Welches Zitat, welche Textimpulse möchtest Du uns mitgeben?
Unsere Abschiedsinszenierung „The very End of it All and Everything“ birgt unglaublich viele zitierwürdige Weisheiten über Enden, die immer auch Anfänge sind, oder unseren Umgang mit Zeit, mit der Endlichkeit unserer Existenz. Ich kann mich da unmöglich für nur ein Zitat entscheiden. Fest steht: Das Ende wird kommen.
Vielen Dank für das Interview lieber Tomas, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
Tomas Schweigen, Regisseur, künstlerischer Leiter am Schauspielhaus Wien 2015 – 2023
Zur Person_Tomas Schweigen, geboren 1977 in Wien, studierte zunächst Theaterwissenschaft, Germanistik, schließlich Schauspiel in Wien und ab 2000 Regie an der Zürcher Hochschule der Künste. 2004 gründete er in Zürich die Kompagnie »Far A Day Cage« (FADC). Seitdem über 50 Inszenierungen sowohl in der freien Szene (u. a. Theaterhaus Gessnerallee Zürich, HAU Berlin) wie auch an Stadt- und Staatstheatern, wiederholt u. a. am Schauspiel Frankfurt, am Schauspiel Hannover, Theaterhaus Jena, an den Münchner Kammerspielen, am Badischen Staatstheater Karlsruhe, Theater Oberhausen und am Schauspielhaus Wien.
Seine Inszenierungen wurden vielfach ausgezeichnet, zu zahlreichen internationalen Festivals eingeladen u. a. in Deutschland (Impulse-Festival, Politik im freien Theater, Theaterformen Hannover, Spielart München, Theater der Welt, Radikal Jung, Festival transeuropa uvm.), in der Schweiz (Zürcher Festspiele, Theaterspektakel, Festival Belluard, Auawirleben Bern, Theaterfestival Basel etc.), in Liechtenstein, in Frankreich (Festival Premières Strasbourg), Spanien, Portugal, den Niederlanden, der Türkei (Theaterfestival Istanbul) und im Iran (Fajr-Festival Teheran). Mehrfach wurde er von »Theater heute« als Nachwuchsregisseur des Jahres nominiert.
Von 2012 bis 2015 war er Co-Schauspieldirektor am Theater Basel, davor langjähriger Gastdozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Seit 2015 (bis 2023, Anm.,) ist er Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Wiener Schauspielhauses und inszenierte »Punk & Politik«, »Strotter«, »Traum, Perle, Tod«, »Blei«, »Seestadt-Saga 1+2«, »Digitalis Trojana. Der See, die Stadt und das Ende«, »Schlafende Männer« und »Das Leben des Vernon Subutex I&II«. In der Spielzeit 19/20 ist seine Umsetzung von »Im Herzen der Gewalt« des jungen Starautoren Édouard Louis und »Rand« von Miroslava Svolikova am Schauspielhaus zu sehen.
https://www.schauspielhaus.at/team/tomas_schweigen
Foto_Schauspielhaus_Portraits_HIRES_CO8I2714_0041
2.6.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.