Liebe Eva, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tagesablauf ist im Moment sehr hektisch, weil ich mich gerade selbstständig gemacht habe. Aber ich bin überzeugt davon, jemand zu sein, der eine Abwechslung braucht. Es liegt wohl in meinen Genen, dass ich mich insgesamt doch wohler fühle, wenn zu viel los ist als zu wenig.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Gerade rutschen wir gefühlt von einer Krise in die nächste. Zusammen mit der Dunkelheit, die in dieser Jahreszeit noch sehr präsent ist, kann das zu einem Zustand der Erschöpfung führen, der uns im Augenblick alle sehr umklammert hält. Deshalb denke ich, es ist im Moment sehr wichtig, die Hoffnung nicht aufzugeben. Schon im Schreiben dieses Wortes merke ich, wie altmodisch es klingt. Aber das Prinzip „Hoffnung“ ist für uns alle entscheidend, um in eine Zukunft blicken zu können, von der wir das Gefühl haben, sie selbst positiv gestalten zu können. „Hoffnung“ ist nicht das naive Warten, dass irgendwann irgendwie alles besser wird, sondern eine aktive Entscheidung, das Gute im Leben zuzulassen und ein gewisses Vertrauen in die Welt, in unsere Fähigkeiten und in das Gute zu behalten.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ja, ich denke, wir leben in einer Zeit des Aufbruchs, aber du hast schon sehr bewusst ein positives Wort dafür gewählt. Aufbruch bedeutet immer, dass etwas Neues beginnt und Beginne sind gut, weil sie uns weiterführen. Der Anfang als negatives Konzept des „Vor-Scheiterns“, weil wir noch nicht das können, was wir eines Tages hoffentlich können werden, ist ein Zeichen unserer Zeit. Man darf mit nichts beginnen dürfen, weil es heißt, dass man etwas noch nicht kann. Aber Anfänge können auch bedeuten, endlich die nötigen Schritte zu gehen, die man schon lange aufgeschoben hat. Dort wird uns die Literatur begleiten können: ihr werden zwei wichtige Rollen zukommen: jene des Spielerischen und jene der Fantasie. Als Menschen brauchen wir beides. Das Spielerische hilft uns, mit Humor und Neugier neue Wege zu suchen und zu finden – und aufzustehen, wenn wir hinfallen. Die Fantasie hilft uns, uns vorzustellen, was wir alles erreichen könnten im Positiven. Bei negativen Erfahrungen kann sie in der Verarbeitung derer ein wichtiges Werkzeug sein. Ich habe das in dunklen Lebensphasen selbst so erlebt – und in den hellen umgekehrt auch.
Was liest Du derzeit?
Im Moment lese ich „Die dunkle Seite der Liebe“ von Rafik Schami. Ich liebe die Literatur dieses Kulturkreises, weil ich das Gefühl habe, dort geht es noch mehr um die Erzählung einer Geschichte, aus der man hunderte Facetten mitnehmen kann. Im Gegensatz dazu ist mir die europäische Art zu schreiben in den letzten Jahren zu kalt, förmlich und stellenweise uninspiriert. Im Buch von Schami wird geweint, geflucht; es wird gehasst und geliebt und alles mit einer Intensität, die einen erschöpft, aber auch sehr erfüllt zurücklassen kann. Dieser Zugang zum Leben liegt mir persönlich viel näher.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Die wichtigste Zeit ist immer die Gegenwart. Der wichtigste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht. Und das wichtigste Werk ist immer die Liebe.“ – Meister Eckhart.
Meister Eckhart lebte im 13. Jahrhundert und immer wieder fasziniert es mich, wie aktuell ein Zitat sein kann, das 700 Jahre alt ist. Wir dürfen – gerade jetzt und im Hinblick auf deine dritte Frage – nicht vergessen, dass wir im Hier und Jetzt leben, mit allen Möglichkeiten, die sich uns bieten. Wir dürfen nie vergessen, uns auf die Menschen in unserer Umgebung wahrhaft einzulassen anstatt sie, weder gedanklich noch physisch, bloß von rechts nach links zu wischen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Liebe und Freundschaft unser Leben unendlich bereichern und uns die Kraft geben für alles, was kommen mag.
Vielen Dank für das Interview liebe Eva, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Eva Mühlbacher, Schriftstellerin, Pädagogin
Foto_privat
6.2.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Sehr gut geschrieben, liebe Eva! Deine Worte sind bis nach Alaska vorgedrungen und Gratia hat mich von dort auf dich aufmerksam gemacht. Respekt! Viel Glück weiterhin in deinem Leben! Carpe diem! Lucia Kautek
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