„Pasolinis Mut“ Gisela Elisa Heredia, Dancer _ performing Teorema_100.Geburtstag P.P.Pasolini _ Wien 28.9.2022

Gisela Elisa Heredia_Choreographin, Tänzerin, Tanzpädagogin_ Wien_
performing „Teorema“ (Film, 1968, P.P.Pasolini) _
100.Geburtstag P.P.Pasolini (*1922 Bologna +ermordet 1975 Rom)

Liebe Gisela, welche Bezüge, Zugänge gibt es von Dir zum italienischen Dichter, Regisseur und Autor P.P.Pasolini?

Ich bin dankbar über dieses gemeinsame Projekt, zu dem du mich eingeladen hast und damit auch Pasolini kennenzulernen. Meine Arbeit als Choreografin hat nicht viele Ähnlichkeiten mit jener Pasolinis aber ich denke, dass seine Arbeit etwas gezeigt hat was sich viele von uns Künstler*innen vielleicht heute noch nicht trauen – ehrlich rebellisch und kritisch zu sein, mutig.

Es wird oft versucht kritisch und mutig über politische und soziale Themen auf der Bühne zu arbeiten, aber es bleibt oft sehr brav/gefügig. Wir trauen uns nicht so richtig laut zu sein, wenn es um echte Sachen geht, wir haben vielleicht Angst diesen Schritt zu gehen obwohl es manchmal sehr notwendig wäre…das wäre für mich etwas, das ich von Pasolini in meine Arbeit mitnehmen würde.

Wir haben Pasolinis Film „Teorema“ (1968) als Schwerpunkt für eine Performance gewählt. Welche Zugänge gibt es für Dich zu diesem Film im Blick auf Selbstverständnis, Sinn, Mensch und Gesellschaft?

Nichts ist selbstverständlich, ich glaube vielleicht auch wie Pasolini, dass jeder von uns – egal welche Gesellschaftsklasse – die Härte dieses Leben erleben kann. Ich denke selber vielleicht etwas optimistischer wie er aber ich finde die Verantwortung für unsere Gesellschaft muss jede/er für uns tragen…

Es ist jedoch nicht schwer, das Ziel zu entdecken, auf das der italienische Regisseur vergiftete Darts wirft, obwohl, wie es in seiner Arbeit und politischen Rede üblich war, die Oberschicht nicht die Einzige sein wird, die unter der Rüge leiden wird. Die Kritikpunkte sind heute nicht anders.

In der deutschen Filmversion gibt es den Untertitel „Geometrie der Liebe“. Wie sieht für Dich Pasolini die Liebe in diesem Film?

In meiner Sprache (Spanisch) würde der Film auch Teorema heißen. Ich interessiere mich mehr für die nicht unbedingt direkte mathematische Bedeutung. Hier habe ich versucht meine Lieblingsinterpretation über den Titel zu übersetzen:

In der Logik ist ein „Teorema“ eine Aussage, die durch Prämissen und Annahmen eines Systems abgeleitet wird, die Ideen oder Überzeugungen sind, die allgemein als wahr akzeptiert werden.

„Theorems“ sind nicht offensichtliche, aber absolute Wahrheiten, die durch logisches deduktives Denken bewiesen werden müssen.  Es handelt sich um Eigenschaften, die sich aus der Beziehung einer kurzen Anzahl intuitiver Eigenschaften ergeben, die jedoch nachgewiesen werden müssen.

Wie siehst Du Liebe bezugnehmend auf „Teorema“ heute?

Die Frage ist einfach, die Antwort nicht. Ich möchte hier sagen, dass Liebe wie Sexualität für mich privat ist und genau deswegen könnte ich meine Art Liebe zu empfinden nicht beschreiben, weil es sehr individuell ist. Ich würde jetzt mehr das allgemeine Gefühl von Liebe auf die Gesellschaft beziehen. Liebe vielleicht als verständnisvolle Art mit Menschen umzugehen in Zuneigung, Toleranz, Respekt, Offenheit, Großzügigkeit. Vielleicht ein zu romantischer Standpunkt im Vergleich mit „Teorema“

In „Teorema“ verändern sich aufgrund eines Besuches eines geheimnisvollen Menschen Ehe, Familie, Gesellschaft radikal. Dabei spielt vor allem der Körper im Moment der Erkenntnisgewinnung, Befreiung eine wesentliche Rolle. Wie siehst Du diese Aussage, Dramaturgie des Films?

Wenn der Körper als Befreiung und Lösung von vielen Fragen eine große Rolle spielt, finde ich es wunderbar. Ich als Mensch der Körpersprache kann es nur bestätigen, dass der Körper als großes Werkzeug und Übersetzer vieler Gedanken funktionieren kann. 

Du bist Choreographin, Tänzerin tätig. Dein/Der Körper ist dabei wesentliches künstlerisches Inszenierungs- und Ausdrucksmittel. Welche Bedeutung hat der Körper für Identität und Beziehung?

Der Körper ist für mich was wir sind. Geschichte, Ursprung, Alltag, zwischenmenschliche Beziehungen, Emotionen, Kraft und Zukunft. Ein schwebendes ich in einem gemeinsamen Dasein mit den anderen.

Im Film zerbricht die Ehe, die Familie und neue Wege öffnen sich. Wie siehst Du die Entwicklungswege der Filmcharaktere?

Als Zuschauerin eines Filmes oder einer anderen Kunstform versuche ich zu verstehen und zu respektieren, dass der oder die Künstler*innen immer einen Grund haben so eine Entwicklung zu zeigen. Obwohl ich in Teorema nicht alles so darstellen hätte wollen, bin ich nicht in der Lage zu sagen was richtig oder besser gewesen wäre. Vielleicht wäre mein Film nicht so autodestruktiv geworden…

Wie siehst Du den gesellschaftskritischen Ansatz im Film „Teorema“ wie im Werk Pasolinis?

Pasolini möchte ich manchmal sein…Er verspottet jene Schicht der intellektuellen Gemeinschaft, die von universellen Werten spricht und behauptet, sich den benachteiligten Klassen zu nähern, aber immer aus dem Diskurs und niemals aus der wahren politischen Aktion, die die Grundlagen der Klasse bricht, die am Ende ihre privilegierte Position beibehält. Das vermisse ich oft in unserer Gesellschaft.

Pasolini nimmt auch immer wieder religiöse Komponenten in seinen Filmen, Texten auf. Siehst Du den Fremden in „Teorema“ als messianische Gestalt bzw. wie ist Deine Sichtweise?

Ich sehe den Fremden als eine Metapher für das was in unserem Inneren lebt und sich nicht immer befreien kann.

Du bist selbst Choreographin, Tänzerin. Wie war Dein Weg zum Tanz?

Mein Weg zum Tanz war sehr schön, als Kind haben mir meine Eltern alle Möglichkeiten gegeben alles zu probieren. Von Ballett bis zum Kastagnettenspielen, Tanzschulen und Musik Konservatorium, Rhythmische Gymnastik, Schwimmen… ich kann mich nicht beschweren und irgendwann nach einer Teenager Pause kehrte ich zurück zum Tanz, ich durfte mit einer der besten Choreografinnen in meiner Stadt trainieren und dann nahm sie uns mit an die Uni, wo sie mit uns als ersten Jahrgang mit Bühnentanz und Choreografie ein Universitätsstudium gegründet hat. Das waren die beste Tanzjahre, die ich je hatte, danach als ich fertig war und viel getanzt hatte, beschloss ich kurz nach Wien zu kommen und meinen Bruder zu besuchen, dann startete ich die Pädagogische Ausbildung für Tanz am Muk und seit sehr vielen Jahren bin ich mit Tanz beschäftigt.

Pasolini nimmt in seinen Werken immer wieder auf Kindheit, Jugend wie deren Orte Bezug. Du bist in Argentinien geboren und aufgewachsen. Wie hast Du diese Lebensspanne erlebt und was hat Dich geprägt?

Ich bin mitten in eine Diktatur geboren, habe aber nicht viel mitbekommen, weil ich so klein war und womöglich meine Eltern versucht haben, mir und meinen Brüdern nicht zu zeigen, wie es ihnen und der Gesellschaft geht. Ich habe die schönste Kindheit die man haben kann gehabt, mir hat nichts gefehlt. Ich bin ein Stadtkind aber ich liebe die Nähe zur Natur, früher haben wir, glaube ich, als Stadtkinder viel mehr draußen spielen können…heute sehe ich, dass dies dort auch anderes geworden ist. Geprägt hat mich die Freude und Freundlichkeit der Menschen dort, auch die Offenheit für alles was fremd ist. 

Pasolini war zunächst als Pädagoge tätig. Du bist auch als Tanzpädagogin tätig. Welche Schwerpunkte gibt es da und wie siehst Du das Zusammenspiel von Kunst und Pädagogik?

Mein Schwerpunkt liegt immer noch auf dem zeitgenössischen Tanz aber es kommt immer darauf an mit welchen Gruppen man arbeitet, man sammelt immer sehr viel Erfahrung in den verschiedenen pädagogischen Projekten, ich kann mit Kindern und Menschen mit 70 Jahren und mehr arbeiten, jede Gruppe hat etwas Besonderes und Eigenes. Für mich gehen Kunst und Tanzpädagogik Hand an Hand. Tanz ist Kunst.

Es gab viele interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Pasolini. Etwa mit der Sängerin Maria Callas im Film „Medea“ (1969). Wie wichtig ist dies für Dich im künstlerischen Prozess?

Ich finde das Zusammenarbeiten mit anderen Kunstsparten immer spannend, wenn sich die Sparten verstehen und verschmelzen können und nicht wenn eine Sparte zum Beispiel zu laut, dominierend wird.

Welche Impulse des Künstlers Pasolinis siehst Du bis heute als wesentliche Wirkung?

Den Mut

Was bedeutet Dir Wien/Österreich und welche Erfahrungen hast Du hier im Kunstberuf gemacht?

Wien ist eine Stadt, die mir die Möglichkeit gegeben hat, etwas Neues zu lernen. Ich habe sehr viele verschiedene Erfahrungen in Kunstberuf gemacht, von ganz unerklärlichen bis zu den sehr schönen tiefsinnigen Erlebnissen. Alles ist eine Bereicherung. 

Wie siehst Du die Möglichkeiten als Künstlerin in Wien/Österreich?

Künstler*inn zu sein ist keine leichte Aufgabe aber wenn man es schafft, ist es auch das Schönste. Es ist schwer zu sagen wie ich die Möglichkeiten für andere sehe. Manchmal hängt es von der eigenen harten Arbeit ab und der Wertschätzung deiner Zuschauer*innen und Kolleg*innen ab und manchmal hängt deine Arbeit von ein paar nicht richtig geeigneten bürokratischen Manöver oder Menschen ab, die deine Arbeit nicht schätzen…also ich glaube am Ende ist es die eigene Erfahrung, die einen weiter bringt und Möglichkeiten öffnet.

Was wünscht Du Dir für den Kunstberuf?

Mehr Wertschätzung für den Tanz als Bewegte Kunstform

Was sind Deine kommenden Projekte?

Meine kommenden Projekte sind eine weitere Folge des Projekt remix ID in Rumänien, Timisoara, später dann ein Projekt in Zusammenarbeit mit einer wunderbaren Sängerin und Komponistin in Wien und noch später die Feier des Internationalen TanzTag in Wien. Es gibt auch weitere Projekte und Ideen.

Was möchtest Du Künstler*innen in ihrem Entwicklungsweg mitgeben?

Ich glaube, dass unsere künstlerische Arbeit nur gut sein kann, wenn wir viel Erfahrung sammeln und offenbleiben und viel wichtiger finde ich, dass wir als Künstler*innen authentisch bleiben.

Was würdest Du P.P.Pasolini sagen, fragen wollen?

Ich würde ihn einladen ein Tanzstück zu choreografieren.

Darf ich Dich abschließend zu einem Pasolini Achrostikon oder Zitat bitten?

„Ich weiß sehr wohl, wie widersprüchlich man sein muss, um wirklich konsequent zu sein.“

Gisela Elisa Heredia_Choreographin, Tänzerin, Tanzpädagogin_ Wien_
performing „Teorema“ (Film, 1968, P.P.Pasolini) _
100.Geburtstag P.P.Pasolini (*1922 Bologna +ermordet 1975 Rom)

Gisela Elisa Heredia_BA – Dancer, Choreographer, Dance Teacher  _ Wien_

www.tanzcoop.com

www.facebook.com/tanzcoopcollective

www.instagram.com/gisela.elisa.heredia.tanzcoop


performing „Teorema“ (Film, 1968, P.P.Pasolini) _

Choreographie_Performance_Gisela Elisa Heredia

Regie_Walter Pobaschnig

Ort_Kursalon Hübner Wien.

Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig

100.Geburtstag _ P.P.Pasolini, Regisseur, Dichter, Autor (5.3.1922 Bologna – +ermordet 2.11.1975 Rom) _

Walter Pobaschnig 8_22

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