Liebe Margarita, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Eigentlich müsste ich sagen: Es hat sich nichts verändert. Ich stehe auf, frühstücke mit meinem Mann, setze mich an den Schreibtisch … Wenn wir in unseren Räumen Kameras installiert hätten, würden diese beinahe dieselben Szenen aufzeichnen wie im Feber 2020, nur mit dem Unterschied, dass mein Mann nun auch an Schultagen öfters durchs Bild läuft.
Was fehlt, sind die Momente abseits der Routine. Die Kino- und Theaterabende, die Verabredungen zum Kaffee, die Redaktionssitzungen, die Lesungen, die Verlagsfeste, die Möglichkeit, spontan in einen Zug zu steigen und die Tapeten zu wechseln … Ich habe mir das lange nicht eingestanden, aber dieser Stillstand »dort draußen« entmutigt, demotiviert und macht Angst.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich kann nicht für alle sprechen. Ich persönlich habe festgestellt, dass mich der fehlende Input träge und dumpf (und auch dumm) macht. Was es jetzt braucht, sind wieder ein paar »echte« Kontakte und Eindrücke – abseits von Google Meet, Zoom, Skype, Facebook & Co. Sonst wird man schrullig.
Und sonst? Abwarten und Tee trinken. (Oder auch ein Glas Martini oder Rotwein.)

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich habe nicht das Gefühl, dass ein Aufbruch bevorsteht. Die Menschen rund um mich scheinen sich eher in eine Welt vor 2020 zurückzusehnen. Man spricht über Reisen, die man antreten möchte, über sensationell billige Flüge, über das Bier, das beim Wirt ums Eck schon wieder teurer geworden ist … Sobald ich meine kleine Blase verlasse, sind kritische Themen unerwünscht. Man will sich beim Marillenkuchen nicht den Kopf über sterbende Kleinunternehmen, steigende Kinderarmut, fehlende Chancengleichheit oder den Klimawandel zerbrechen.
Literatur und Kunst können Diskurse anregen und neue Denkwelten eröffnen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass das alles nur in einem sehr kleinen Kreis stattfindet. In den meisten Wohnzimmern ist nicht mal ein kritischer Tatort erwünscht. Und bei Familienzusammenkünften muss ich mir mehr denn je anhören, dass ich mir endlich einen »ordentlichen Job« suchen soll – und dass ich aufhören soll, so »blind und naiv« zu sein und links zu wählen.
Was liest Du derzeit?
Im Moment das Jugendbuch »Esther und Salomon« von Elisabeth Steinkellner, »Es muss schreien, es muss brennen« von Leslie Jamison und »Anatomie im Zimmer« von Stanka Hrastelj.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Auf meinem Schreibtisch steht eine Postkarte, die mir mal eine liebe Freundin geschenkt hat. Auf der steht: »Gib alles, außer auf.« Das hilft manchmal.

Vielen Dank für das Interview liebe Margarita, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Margarita Kinstner, Schriftstellerin
Margarita Kinstner | Literatur (margarita-kinstner.com)
Alle Fotos_Hannes Puntigam
18.7.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
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