Lieber Adrian, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich bin meist gut ausgeschlafen, wenn der Tag beginnt. Die Arbeit am Schreibtisch hat sich nicht viel verändert. Vielleicht, dass die Grundstimmung düsterer ist, auch in den Texten. Und dann fehlt das Gespräch, die Veranstaltungen, die zufällige Begegnung als Input fürs Schreiben. Das vermisse ich sehr. Nachmittags mache ich häufig einen Spaziergang durch den Park. Treffe manchmal auch schreitend Leute, die ich sonst zum Café getroffen hätte. Wenn es um 17 Uhr dunkel wird, könnte ich bereits einschlafen. Das ist der Grund, warum ich anderntags zeitig munter bin.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ruhe bewahren. Gelassenheit üben. Bewegung suchen. Und dieses verlorene Jahr akzeptieren, denn wir werden nicht alles nachholen können.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
So sehr wir uns das auch wünschen, es wird kein Zurück in die Welt vor 2020 geben. Den Künsten kommt auch in dieser Zeit die Rolle zu, dass zu reflektieren, was da mit uns passiert. Wie sich Gesellschaft verändert, wie Reiche nochmals reicher werden. Wie Ausgeschlossene noch mehr weggedrängt werden. Wie unabhängige Strukturen zerbröseln. Wie Kontakte abreißen. Wie machtlos wir eigentlich sind. Der Rückzug ins Private, den die Pandemie erfordert, ist keine Lösung für unsere gesellschaftlichen Probleme. Da gibt es für Künstler*innen viel zu tun.
Was liest Du derzeit?
„Beyrouth 2020“ von Charif Majdalani, über den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch des Libanon.
„Der Himmel“ von Nona Fernández. Kurzgeschichten aus Chile und Argentinien, die mir ein Freund geschenkt hat.
Und „Fast nichts“, Gedichte von Paul Bowles in der spannenden Übersetzung von Jonis Hartmann.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Die Riffelglaskammern in denen wir leben
Unsere freiwilligen Kristallmuscheln“, von denen Paul Bowles spricht,
müssen wir unbedingt verlassen!
Vielen Dank für das Interview lieber Adrian, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Adrian Kasnitz, Schriftsteller
Foto_privat.
4.12.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
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